Dass Ärzte eine kaum lesbare Handschrift haben, ist eine Binsenwahrheit – seit kurzem sogar «amtlich» bestätigt: In Indien verurteilte ein Gericht drei Ärzte wegen «Justizbehinderung» zu Geldbussen. Auslöser waren Gutachten der Ärzte, die nur schwer zu entziffern waren.
Andreas Baumann kann das nicht passieren. Der Arzt aus Langenthal führt alle Dossiers elektronisch, in seinem Zentrum für Neurologie ist jeder Schritt digital.
Digitale Arztvisite
Zu übersehen ist das nicht: Ganze acht Computermonitore stehen auf dem Empfangstresen. Damit können die Praxisassistentinnen die elektronischen Krankenakten jedes Patienten aufrufen und sehen, wer an der Reihe ist, mit welcher Untersuchung. Ob Blutanalyselabor, Ultraschall oder EEG – alles ist vernetzt und jedes Gerät wird automatisch mit allen Daten versorgt, erklärt Andreas Baumann - und speist die Messwerte einer Untersuchung in das Patientendossier ein.
«Umgekehrt kann ich dann von meinem Arbeitsplatz aus die Resultate der Untersuchung anschauen», schwärmt der Arzt. Um die Informationen beispielsweise gleich mit dem Patienten zu besprechen. Oder den Untersuchungsbericht zu schreiben – aber nicht von Hand.
Andreas Baumann nutzt nämlich ein elektronisches Diktiersystem, mit dem er in Redegeschwindigkeit direkt in die elektronische Krankengeschichte einen Bericht sprechen kann. Die Spracherkennungssoftware ist mittlerweile so ausgereift, dass sie die Worte fast fehlerfrei in Zehntelsekunden in Text umsetzt.
Die Digitalisierung spare viel Zeit, sagt Andreas Baumann. Es sei Zeit, die ihm dann erlaube, Befunde mit jemandem zu besprechen.
Über kurz oder lange gäbe es aus wirtschaftlicher Sicht für die Ärzte gar keine Alternative zur Digitalisierung: Die Abgeltungen in der Medizin seien in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Als Ausgleich müsse er Abläufe automatisieren und weniger personalintensiv machen. «Ich kann Hilfpersonal einsparen, weil wir nicht mehr den Krankengeschichten nachrennen und sie herumtragen müssen».
Datensicherheit steht an erster Stelle
Alle Daten sind nicht nur in der Arztpraxis gespeichert, sondern liegen auch verschlüsselt in einem Rechenzentrum, das nur über eine gesicherte Verbindung erreicht werden kann und mit Firewalls Hackerangriffe abwehrt. Regelmässig machen die Betreiber sogenannte «Penetration Tests» – lassen sich von Profis bewusst hacken, um allfällige Schwachstellen zu entdecken.
So sind digitale Daten vor dem Zugriff Unbefugter besser geschützt als Papier, das in einer Mappe irgendwo in der Praxis unbeaufsichtigt herumliegt (es sei denn, der Arzt schreibt so, dass es sonst niemand lesen kann).
Auch deshalb ist für Andreas Baumann Digitalisierung keine Frage, sondern ein Muss. Schweizweit ist er aber noch eine Ausnahme: Nur etwa 10 %der Ärzte arbeiten wie er komplett digital.
Doch der Trend zur digitalisierten Praxis lässt sich nicht mehr aufhalten, davon ist auch die FMH überzeugt, die Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Um die Ärzte für die Digitalisierung mehr zu begeistern, hat der Verband vor kurzem ein Leitbild von und für Ärztinnen und Ärzte formuliert.