Annemarie von Matt sammelte wie eine Besessene; vom SBB-Ticket über Hühnerknochen bis zu vollgeschriebenen Notizzetteln legte sie alles zur Seite. Kurz vor ihrem Tod im Jahr 1967 war ihr Haus in Stans – in dem sie allein lebte – mit all diesem Angesammelten komplett zugestellt. Im Ort trug ihr dieses Benehmen den Ruf einer schrulligen, alten, vereinsamten Frau ein. «Annemarie zeigte sich nicht mehr vielen Menschen», erinnert sich ein Dorfbewohner in einer Radiosendung aus dem Jahr 2003, «sie blieb in ihrer Hütte und lief nur noch im Morgenrock herum».
Alles kann zu Kunst werden
Das Bild der schrulligen Alten scheint sich auf den ersten Blick auch in der aktuellen Ausstellung im Winkelriedhaus des Nidwaldner Museums zu bestätigen. Neben Bildern der Künstlerin sind auch scheinbar wahllose Gegenstände aus ihrem Haus ausgestellt – zugekritzelte Zettel, ein Sack voll Bleistiftstummeln, ein Sack voll Bleistift-Spitz-Abfällen oder mit Sand, Salz oder Schwarzpulver gefüllte Fläschchen.
Bei Annemarie von Matt müsse man eben genauer hinschauen, meint Kuratorin Patrizia Keller. «Im Sack mit den Bleistiftstummeln hat es etwa einen Zettel, auf dem ‹die Abgeschriebenen› steht. Das zeugt von scharfem Wortwitz. Ausserdem tauchen in gewissen Kunstwerken Gegenstände auf, die sie Jahre zuvor zur Seite gelegt hat. Alles hatte seinen Platz.» Man täte Annemarie von Matt Unrecht, wenn man sie als wirre Frau abstempelt.
Affäre mit einem Priester
Geboren wurde die Künstlerin im Jahr 1905 in ärmlichen Verhältnissen als Annemarie Gunz in Luzern. Nach der Volksschule arbeitete sie zunächst als Kindermädchen und konnte dann bei einer Goldschmiedin in die Lehre. Sie fand Anschluss an die Innerschweizer Künstlerszene und begann, selber künstlerisch tätig zu werden. In Luzern lernte sie auch Hans von Matt kennen, der selbst auch Künstler war. Im Jahr 1936 heirateten die beiden und zogen nach Stans.
«Annemarie von Matt hatte Mühe, die Rolle der Künstler-Ehefrau einzunehmen», meint Kuratorin Keller, «sie fühlte sich eingeengt». War ihre Kunst zu Beginn noch sehr konkret, so wurde sie nun immer abstrakter. Dieser Wandel schrieb man bis jetzt vor allem dem Einfluss des katholischen Priesters Josef Vital Kopp zu, dem die Künstlerin in Stans begegnete. Die beiden verliebten sich ineinander und hatten sogar eine kurze Affäre.
Die Männer: von der Hauptrolle zur Nebensache
Dass diese Liebe unglücklich endete, hätte ihr das Herz gebrochen und stellte ihr künstlerisches Schaffen auf den Kopf. So wurde Annemarie von Matts späteres Werk interpretiert – bis jetzt. Patrizia Keller will dem entgegenhalten. Es sei sicher so, dass diese Liebe einen gewissen Einfluss auf das Werk von Annemarie von Matt gehabt habe, sagt die Kuratorin, doch bis jetzt sei dieser völlig überzeichnet worden. «Das wird ihr als Künstlerin nicht gerecht und nimmt ihr die Integrität.»
Genauso habe man immer behauptet, dass ihr künstlerisches Schaffen erst durch den Einfluss ihres Ehemannes Hans von Matt wirklich professionellen Charakter bekommen habe. Mit diesen Vorurteilen wolle sie aufräumen, sagt Keller. In der aktuellen Ausstellung taucht Josef Vital Kopp denn auch nur als Fussnote auf und auch Ehemann Hans von Matt wird nur eine kleine Nebenrolle zugestanden.