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Annullierte Abstimmung «Der Kanton Bern hätte in Moutier nachfragen sollen»

Die Abstimmung mit dem Resultat, dass Moutier vom Kanton Bern in den Kanton Jura wechselt, ist ungültig. Regierungsstatthalterin Stéphanie Niederhauser schreibt in ihrem Bericht von verschiedenen Verfehlungen, die zu diesem Entscheid geführt hätten. Sie erhebt schwere Vorwürfe an den Stadtpräsidenten von Moutier, stellt aber auch Fragen im Zusammenhang mit Bund und Kanton Bern. Was hält der Staatsrechtler davon? Wir haben nachgefragt bei Peter Hänni, emeritierter Staatsrechtsprofessor der Universität Freiburg.

Peter Hänni

Emeritierter Staatsrechtler

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Peter Hänni war Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg. Von 2000 bis 2003 war er Dekan und nach 2008 Direktor des Instituts für Föderalismus.

SRF News: Moutier hätte sein Stimmregister vor der Abstimmung im Juni 2017 an Kanton und Bund liefern müssen. So war es abgemacht. Die Gemeinde hat dem Kanton aber nichts abgeliefert, dem Bund erst am Wochenende der Abstimmung. War das eine Bringschuld der Gemeinde, oder hätte der Kanton Bern nachfragen müssen?

Peter Hänni: Die Abmachungen, die der Bund und die Kantone Bern und Jura im Vorfeld der Abstimmung getroffen haben, sind klar: Moutier hätte liefern müssen. Wenn die Gemeinde nun nicht so handelt, sich alles in die Länge zieht, da hätte man sich schon gewünscht, dass der Kanton Bern, die Staatskanzlei im Speziellen, nachfragt.

Es irritiert, dass das Prozedere nicht so abgewickelt wurde, wie im Vorfeld abgesprochen.

Es irritiert schon, dass das Prozedere nicht wie vorbesprochen abgewickelt wurde. Ich sehe in erster Linie die Gemeinde in der Pflicht. Aber auch der Kanton hätte bei Moutier nachfragen müssen. Er hätte ja die Möglichkeit gehabt. Die Tatsache, dass man im Vorfeld genaue Abmachungen über den Ablauf getroffen hat, zeigt ja, wie schwierig die Sache war.

Ich wiederhole aber: Die Gemeinde kann nicht sagen, sie sei weniger in der Pflicht gewesen, weil der Kanton nicht nachgefragt habe. Das finde ich ein bisschen gesucht.

Die Regierungsstatthalterin schreibt in ihrem Bericht, bei einer Abstimmung wie jener in Moutier, hätten bei der Stimmabgabe zwingend Personalausweise verlangt werden müssen. Das ist nicht geschehen. Wie sehen Sie das aus rechtlicher Sicht?

Jetzt wo man alle Umstände kennt, kann man sich schon fragen, warum nicht kontrolliert wurde. Dann hätte man alle Fehlverhalten und Unregelmässigkeiten sofort festgestellt. Aber ob man im Vorfeld tatsächlich damit rechnen musste, dass in solcher Art und Weise manipuliert wird, da bin ich nicht sicher. Mich verwundert mehr, dass man nicht schon vor der Abstimmung definitiv abgemacht hat, dass alle Leute den Ausweis zeigen müssen.

Der Stadtpräsident von Moutier hat im Vorfeld Briefe verschickt, zum Beispiel an Tagesschulen, dass sie bei einem Wechsel in den Kanton Jura sicher weiterbestehen würden. Die Regierungsstatthalterin sagt, das könne man so nicht definitiv belegen, das seien Falschinformationen. Ihre Einschätzung?

Tatsächlich läuft das unter dem Begriff «unzulässige Propaganda von Behörden». Der Stadtpräsident von Moutier sagt, er habe diese Äusserungen als Privatperson gemacht. Diese Argumentation ist schwierig, wenn man einen amtlichen Briefkopf für die Information verwendet.

Ist ein solcher Stadtpräsident noch tragbar?

Das werden die Bürgerinnen und Bürger von Moutier bei den Wahlen am 25. November entscheiden. Wenn sie begeistert sind über das engagierte Vertreten der mutmasslichen Interessen von Moutier, dann wird er glanzvoll wiedergewählt und sonst nicht.

Wie wirkt der Entscheid der Regierungsstatthalterin in Moutier nach?

Ich gehe davon aus, dass die drei Parteien, der Bund und die beiden Kantone Jura und Bern, wieder an einen Tisch sitzen und gemeinsam planen, wie sie weitermachen wollen.

Der Rechtsstaat verlangt auch sein Recht.

Natürlich ist die Annullierung der Abstimmung bis zu einem gewissen Grad ein Verstoss gegen die Idee der Demokratie. Aber der Rechtsstaat verlangt auch sein Recht. Wenn man sicher sein will, dass nur ein Abstimmungsresultat anerkannt wird, das den freien Willen der Stimmbevölkerung unverfälscht zum Ausdruck bringt, dann muss man in Kauf nehmen, dass ein Abstimmungsresultat auch mal annulliert wird.

Das Gespräch führte Christine Widmer.

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