Auf dem Churer Sennhofareal befand sich zuletzt das erste kantonale Gefängnis des Kantons Graubünden. Künftig soll dort gewohnt, gearbeitet und ausgegangen werden. Der Innenhof des Gebäudekomplexes wird aufgeweitet und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dabei werden auch bislang unbebaute Flächen genutzt.
Um die im Boden erhaltene Strukturen und Funde noch vor Baubeginn zu untersuchen, dokumentieren und so für die Nachwelt sichern zu können, führt der Archäologische Dienst Graubünden seit März Untersuchungen auf dem historischen Areal durch.
Ein mittelalterliches Handwerkerquartier
Bei den Grabungen sei in den vergangenen Wochen ein mittelalterliches Handwerkerquartier freigelegt worden, teilt der Kanton Graubünden mit. Man habe zahlreiche Nachweise gefunden, dass vor rund 1000 Jahren auf dem Gebiet kunsthandwerkliche Tätigkeiten stattgefunden haben.
«Man muss sich einzelne, relativ einfache Ateliers vorstellen. Handwerker verschiedener Gewerbe waren hier tätig», sagt Kantonsarchäologe Thomas Reitmaier. Bei den Fundgegenständen handle es sich vor allem um «Abfall, den die Handwerker hier liegen gelassen haben», so Reitmaier.
Zu den Fundobjekten zählen teilweise bearbeitete Tierknochen, Barren aus Buntmetall oder Glasschlacken; aber auch Überreste, welche davon zeugen, dass im Früh- und Hochmittelalter auf dem Sennhofareal Textilien und Leder verarbeitet worden sind. Ein Fundgegenstand hat es den Forschern besonders angetan.
Einzigartige Gussform für Schmuck
Vor Kurzem fanden die Archäologen eine kleine Steinplatte, die als Gussform zur seriellen Produktion von Schmuckobjekten beziehungsweise religiösen Gegenständen diente. «Weil auf beiden Seiten des Objekts schöne Negative zu sehen waren, wusste wir, dass es sich hierbei um etwas Spezielles handelt», sagt Ausgrabungsleiter Bernd Heinzle.
In der Schweiz seien drei Fundstätten bekannt, an denen vergleichbare Gussformen gefunden wurden, sagt Heinzle. Nach heutigem Kenntnisstand stammt die Form aus Chur aus dem neunten bis elften Jahrhundert und diente unter anderem der Herstellung von Kreuzanhängern mit Christusdarstellung, Scheibenfibeln sowie Finger- und Ohrringen.
Forscher erwarten weitere Fundstücke
Vergleichbare Handwerkerquartiere wurden in der Vergangenheit schon in anderen Städten entdeckt und erforscht. «In der Regel stammen diese alle aus dem Hoch- bis Spätmittelalter», sagt Kantonsarchäologe Thomas Reitmaier. Die älteren Funde in Chur seien eine Überraschung: «Vor allem weil es aus älteren Grabungen keine Hinweise auf solche Funde gab.»
In den kommenden Wochen finden auf dem Sennhofareal weitere Grabungsarbeiten statt. «Noch tiefer wartet die Spätbronzezeit auf uns», so Reitmaier. Er gehe davon aus, dass auch Fundstücke aus dieser Epoche zutage gebracht werden können.
Die gefundenen Objekte vom Sennhofareal sollen zu einem späteren Zeitpunkt in einer Sonderausstellung zum Thema Handel und Handwerk zwischen Bodensee und Alpenrhein ausgestellt werden. Gemäss dem Archäologischen Dienst Graubünden findet diese voraussichtlich im Sommer 2023 im Rätischen Museum in Chur statt.