Die Titlis Bergbahnen haben für den Neubau ihrer Bergstation die beiden Basler Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron verpflichtet. Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Berggebiet solch teure Architektur leistet. Nebst Herzog und De Meuron haben etwa auch schon Mario Botta oder Zaha Hadid auf mehreren tausend Metern über Meer gebaut.
Was erhoffen sich die Berggebiete davon? Was die Architekten? Und sind Berggipfel wirklich der richtige Ort für solche Extravaganz? Der Tourismusexperte Jürg Stettler gibt Antworten.
SRF News: Sind Bahnstationen auf Berggipfeln die neuen Tummelplätze für Stararchitektinnen und Stararchitekten?
Jürg Stettler: Das wäre zu viel gesagt. Seit einigen Jahren gibt es immer wieder Beispiele von Bergbahnstationen, bei denen gute Architektur eine wichtige Rolle spielt, aber sie sind eher die Ausnahme. Bei den meisten Gebäuden, die im Rahmen von Bergbahnen entstehen, steht nach wie vor die Funktionalität im Vordergrund. Was sich aber feststellen lässt: Es gibt eine höhere Sensibilität für Architektur in den Bergen. Vor allem bei grösseren Bergbahnen, die auch über gewisse finanzielle Möglichkeiten verfügen.
Viele versuchen von reiner Gebrauchsarchitektur wegzukommen und etwas zu bauen, das den Leuten auch gefällt, das einen eigenen Charakter besitzt.
Woran liegt das?
Den Betreibern von Bergbahnen ist bewusster geworden, dass sie eine Verantwortung haben. Ihre Infrastrukturbauten sind ein grosser Eingriff in einen hochsensiblen Naturraum, das kann Opposition von verschiedenen Seiten hervorrufen. Daher versuchen viele, von reiner Gebrauchsarchitektur wegzukommen und etwas zu bauen, das den Leuten auch gefällt, das einen eigenen Charakter besitzt. Gleichzeitig haben sie erkannt, dass sie mit guter Architektur gleich auch noch ein zusätzliches Wahrzeichen schaffen können.
Stararchitekten sollen also mehr Menschen auf die Berge bringen?
Ja, indem es das reine Bergerlebnis aufwertet. Die Fahrt auf den Berg, das Knipsen der Landschaft, das reicht vielen Besuchern nicht mehr. Ein architektonisch ansprechendes Gebäude auf dem Gipfel dagegen kann ein zusätzlicher Anreiz sein, einen Gipfel zu besuchen – auch für Leute, die man sonst nicht in die Berge gebracht hätte. Gerade in Zeiten von Facebook und Instagram ist es für Berggebiete interessant, wenn man durch Architektur eine Kulisse schaffen kann, die die Besucher fotografieren und eifrig auf Social Media teilen.
Im Städtetourismus spricht man vom «Bilbao-Effekt», angelehnt an Bilbao, das durch das spektakuläre Guggenheim-Museum ab Ende der 1990er-Jahre einen wahren Tourismus-Boom erlebte. Gibt es diesen «Bilbao-Effekt» also auch auf Berggipfeln?
Gute Architektur – oder vor allem die Bauten von bekannten Architekten – können Besucher in die Berge bringen, und dennoch ist das nicht mit Städten vergleichbar. In Städten ist architektonisch sehr viel mehr möglich als in den Bergen, Gipfel sind nun einmal sehr exponierte Orte. Dazu kommt: Eine Bergstation bleibt immer auch ein Gebäude, das in erster Linie funktionieren muss. Es muss technische Infrastruktur beherbergen und Besucherströme gut aneinander vorbeibringen – und das unter speziellen geografischen Bedingungen.
Das heisst: Spitzenarchitektur ist zwar schön und gut, aber wenn sie unpraktisch ist, nützt sie auch nichts.
Spitzenarchitektur auf einem Gipfel funktioniert dann, wenn sie den Besuchern ein gutes Erlebnis bietet. Und zu einem guten Erlebnis gehört auch, wie die Leute durchs Gebäude geführt werden, wie sie sich verpflegen können. Wenn das nicht klappt, dann enttäuscht man die Leute. Die wenigsten von ihnen sind Architekturtouristen, die aussergewöhnlichen Bauwerken hinterher reisen und alleine deswegen einen Gipfel besuchen.
Das Gespräch führte Markus Föhn.