«Risiko ist die Kombination von Gefährdung, Exponierung und Schadenempfindlichkeit», sagt ETH-Professor David Bresch. Das klingt abstrakt, hat aber einen realen Hintergrund. Denn wenn Erdbeben der Stärke 8,1 eine Megametropole wie Mexiko-Stadt erschüttern oder ein gewaltiger Hurrikan Richtung Miami ziehen, wird klar: Der Mensch kämpft mit stumpfen Waffen gegen die übermächtigen Naturgewalten. Auch im hochtechnisierten 21. Jahrhundert.
Die Natur macht keine Katastrophen. Sie erzeugt Ereignisse.
Der Experte für Klima- und Wetterrisiken nennt den US-Bundesstaat Florida als Beispiel für eine Verkettung von Risikofaktoren: «Die Bevölkerung wächst stetig. Damit steigt auch die Zahl der potentiell betroffenen Haushalte, Personen und Infrastrukturen. Gleichzeitig nimmt die Schadenempfindlichkeit aber nicht ab.» Das belegen allein schon die ersten Schadensprognosen nach Hurrikan «Irma»: Experten rechnen mit versicherten (!) Schäden von bis zu 65 Milliarden Dollar.
Die astronomische Summe zeigt, dass nicht Richterskala oder Windgeschwindigkeiten allein bestimmen, wie bedrohlich die Naturgewalten sind. Bresch formuliert es so: «Die Natur macht keine Katastrophen. Sie erzeugt Ereignisse.» Das heisst im Umkehrschluss: Der Mensch kann durchaus mitbestimmen, ob aus Ereignissen Katastrophen werden. Zumindest zu einem gewissen Grad.
Ich bin nicht sicher, ob man den Felssturz in Bondo zu sehr dem Klimawandel in die Schuhe schieben sollte. Die Gestalt der Alpen zeigt uns, dass es immer wieder zu Abbrüchen kam.
Klimawissenschaftler Bresch nennt die Hebel, die man ansetzen kann: «Wir können unsere Exponierung reduzieren, uns also in gewissen Gebieten gar nicht erst aufhalten oder siedeln.» Für Regionen wie Florida, die zwar exponiert, aber bereits dicht besiedelt sind, kommt eine solche Radikallösung nicht infrage. Hier gilt, wie Bresch es nennt, «risikoadäquates Verhalten: Wir können unsere Verletzlichkeit senken.»
Ein Beispiel, wo diese das «risikoadäquate Verhalten» sträflich vernachlässigt wurde, ist die texanische Grossstadt Houston, die von Hurrikan «Harvey» heimgesucht wurde. Dort wurden wider besseres Wissen Zonen verbaut, in denen das Wasser bei Überflutungen abfliesst. «Wenn man an solchen Orten baut, müssen Vorkehrungen getroffen werden», sagt Bresch. So müssten etwa Untergeschosse speziell geschützt werden; auch dürften beispielsweise Stromleitungen an kritischen Stellen nicht unterirdisch verlegt werden.
Ein gutes Zeugnis für die Schweiz
Auch in der Schweiz zeigte sich in den letzten Wochen, welche Zerstörungsgewalt die Natur entfalten kann. In Bondo bedrohte ein Bergsturz ein ganzes Dorf, auch im Walliser Saastal führte ein Gletscherabbruch zu Evakuierungen. Menschliches Versagen ortet Bresch hierzulande aber nicht. Die Schweiz sei sogar ein Vorzeigebeispiel, was die Vorkehrungen gegenüber Naturgewalten angehe:
Wir leben eine Risikokultur. Das beginnt bei der Information und Planung und zieht sich durch bis zu den Verantwortlichkeiten der involvierten Akteure.
Das sei mit Grund, dass bei Naturereignissen in der Schweiz meist sehr wenige Menschen zu Schaden kämen. «Im Fall Bondo haben Vorkehrungen wie Rückhaltebecken dazu beigetragen, dass die Leute im Siedlungsgebiet geschützt werden konnten.»