Man kann sie als die Volkabstimmung des Jahres bezeichnen, denn es geht um viel. Um sehr viel. Bei Annahme der so genannten Begrenzungsinitiative der SVP müsste der Bundesrat die Personenfreizügigkeit mit der EU beenden. Der Bundesrat befürchtet, dass wegen der Guillotineklausel dann alle Verträge der Bilateralen 1 wegfallen würden, also zum Beispiel das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse oder das Landverkehrsabkommen. Drei Monate vor dem Urnengang zeigt sich nun, dass die SVP ausserhalb ihrer Parteibasis kaum Sympathisanten für das Anliegen gewinnen kann. 69 Prozent der Befragten sind bestimmt oder eher dagegen.
Politologe Urs Bieri von Gfs Bern hat die Umfrage im Auftrag von Interpharma durchgeführt. «Die Initiative ist im Moment ein reines Wahlkampfvehikel für die SVP», kommt Bieri zum Schluss. «Sie mobilisiert nur innerhalb der rechtskonservativen Kreise der SVP».
SVP zeigt sich unbeirrt
Das ist keine gute Nachricht für die St. Galler SVP-Nationalrätin Esther Friedli. Friedli leitet die Kampagne für die Initiative gegen die Personenfreizügigkeit.
Sie zeigt sich aber kämpferisch: «Der Abstimmungskampf hat ja noch gar nicht richtig begonnen», meint Friedli, «Wir sind überzeugt, dass wir in den nächsten Wochen den Schweizerinnen und Schweizern aufzeigen können, welche negativen Folgen die masslose Zuwanderung in den letzten 13 Jahren hatte».
Die Umfrage von Gfs Bern zeigt deutlich, dass die Initiative ausser in der SVP bei allen anderen Parteianhängern klar abgelehnt wird.
Den höchsten Ja-Anteil ausserhalb der SVP gibt es bei den CVP-Anhängern. Dort sagen 21 Prozent Ja. Für CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, die gegen die Initiative kämpft, ist der Ja-Anteil nur schwer erklärbar.
«Ich schliesse auf die Unsicherheit während der Corona-Krise. Man bezieht sich mehr wieder auf das Nationale», meint Schneider-Schneiter.
«Im Normalfall gescheitert»
Noch hängen kaum Plakate für die SVP-Initiative. Die Hauptkampagne für die so genannte Begrenzungsinitiative startet erst nach den Sommerferien. Für die SVP wird es höchst anspruchsvoll, bis zum Urnengang am 27. September noch eine Mehrheit zu gewinnen. «Im Normalfall braucht eine Umfrage eine Ja-Mehrheit zu Beginn», erklärt Urs Bieri von Gfs Bern. « Im Normalfall würde diese Initiative scheitern». Allerdings sei eine Prognose wegen der Corona-Krise mit grossen Unsicherheiten verbunden. «Das ist ein Jahrhundertereignis, das kann eine ganz neue Dynamik geben».
Es sei zwar wahrscheinlicher, dass die Initiative abgelehnt würde. Aber niemand weiss, wie sich die Corona-Pandemie bis zum Abstimmungstermin entwickeln wird. Ob die gegenwärtige Krise am Schluss den Befürwortern oder Gegnern der SVP-Initiative in die Hand spielt, ist noch schwer abschätzbar.
Hohe Zustimmung zum Rahmenabkommen
Sollte das Stimmvolk die SVP-Initiative ablehnen, wird der Bundesrat kurz danach der EU darlegen müssen, wie es mit dem Rahmenabkommen weitergehen soll. Für den Bundesrat und die meisten Parteien sind Präzisierungen zwingend nötig, weil im vorliegenden Entwurf rote Linien wie der Lohnschutz überschritten werden. Dennoch zeigen sich die Befragten in der Umfrage von Interpharma überraschend positiv gegenüber einem institutionellen Abkommen mit der EU. 64 Prozent würden an der Urne dafür oder eher dafür stimmen.
Im Moment zumindest steht eine Mehrheit der Schweizerinnnen und Schweizer also offenbar klar hinter den Bilateralen Verträgen und möchte diese auch weiter entwickeln.