«Die Trottoirs gehören den Fussgängern!» Diesen Vorstoss hat der SVP-Politiker Alexander Feuz im Jahr 2017 eingereicht. Sein Anliegen, dass vermehrt Kontrollen bei Velofahrern durchgeführt werden sollten, wartet immer noch auf eine Behandlung im Berner Stadtparlament.
Die Regierung hat bereits auf den Vorstoss geantwortet – jetzt fehlt noch eine Abstimmung im Rat, ob der Rat der Motion zustimmt oder nicht. Zweimal wurde das Anliegen andiskutiert, dann aber auf eine spätere Sitzung verschoben.
Es gibt Vorstösse von 2012, die auf eine Beratung warten. Es gibt Vorstösse von Personen, die nicht einmal mehr im Stadtrat sitzen. Es gibt Vorstösse, deren Themen längst nicht mehr aktuell sind. Über 300 Vorstösse sind hängig. Und in jeder Sitzung kommen mehr Vorstösse dazu, als das Parlament beraten könnte. Geschätzte Wartezeit, wenn man heute in Bern einen Vorstoss eingibt: 2 Jahre.
In der Stadt Bern ist das Problem besonders schlimm, der Vorstossberg besonders hoch. Aber auch in den nationalen Parlamenten lässt sich der Trend beobachten, dass Fraktionen, Parteien und Parlamentsmitglieder öfters zu diesem Instrument greifen.
Weshalb alle scharf sind auf Vorstösse
«Es ist die einzige Möglichkeit für eine Parlamentarierin oder einen Parlamentarier, die eigenen Ideen einzubringen», sagt Marc Bühlmann, Direktor von Année Politique Suisse am Institut für Politikwissenschaften an der Universität Bern. «Der Vorstoss ist das Hauptinstrument der Legislative.» So könne man der eigenen Wählerschaft zeigen, dass man sich aktiv einbringe.
Der Vorstoss ist das Hauptinstrument der Legislative.
Im National- und Ständerat sind es vor allem die Oppositionsparteien und kleinere Parteien, die Vorstösse eingeben, zeigt die Forschung von Bühlmann. «Bei normalen Sachgeschäften der Regierung hat man als Minderheit keine Chance, zu gewinnen», so Marc Bühlmann, «deshalb versucht man die eigenen Ideen via Vorstoss aufs Tapet zu bringen». Solche neuen Ideen seien wichtig, obwohl diese am Anfang oft belächelt würden.
Die kleinen und die oppositionellen Fraktionen
In der Stadt Bern sind es tatsächlich auch die kleineren Fraktionen oder die Fraktionen ohne Mehrheit, die am meisten Vorstösse eingeben.
Verantwortlich dafür, diese Vorstösse ins Parlament zu bringen, ist Barbara Nyffeler. Sie ist in diesem Jahr die höchste Bernerin alias Stadtratspräsidentin. «Bei der Traktandierung habe ich nicht viele Freiheiten», sagt sie, gibt aber auch zu: «Bald geht die aktuelle Legislatur zu Ende. Das heisst, manchmal lasse ich anderen Geschäften den Vorzug.» Es gebe noch viele Sachgeschäfte, die bis zum Schluss der Legislatur behandelt werden müssten. Die Vorstösse hingegen haben da nicht Priorität.
Der Berg wächst – was tun?
Theoretisch gäbe es mehrere Möglichkeiten, die Vorstossflut zu begrenzen: Man könnte die Vorstösse pro Fraktion limitieren, die Redezeit verkürzen, die Anzahl Sitzungen erhöhen, eine freiwillige Beschränkung einführen. Doch das ist leichter gesagt als getan, sagt Politikwissenschaftler Marc Bühlmann: «Kaum ein Parlamentarier beschränkt seine eigenen Rechte».
Ändern wird sich also so schnell nichts. Dafür bräuchte es nämlich einen Vorstoss. Erstens dauert das lange und zweitens bräuchte es im Berner Stadtparlament eine Mehrheit, die bereit ist, ihre eigenen Rechte einzuschränken.