Frau T. ist Ende 40 und wohnt in der Stadt Bern. Am Anfang ihrer Leidensgeschichte steht eine Trennung. Sie trennt sich nach einer zweijährigen Beziehung von ihrem Partner. Schon ein paar Tage später erfährt Frau T. von einem Nachbarn, dass ihr Expartner in der Nacht ums Haus schleiche. «Ich war geschockt und konnte es kaum fassen», sagt sie heute.
Plötzlich kontaktierte er ihre Freundin
Es folgen unzählige Briefe, Nachrichten auf WhatsApp und Facebook sowie Pakete. Der Ex-Freund will die Trennung nicht akzeptieren. «Er schrieb mir, diese Aktionen seien Ausdruck seiner Liebe zu mir.»
Nach einem halben Jahr kommt es zur ersten Eskalation. Der Stalker schreibt einer Freundin von T. einen Brief. «Er beschuldigte sie massiv. Sie würde mich manipulieren und sie sei an allem schuld.» Obwohl Frau T. ihn zur Rede stellt und danach den Kontakt abbricht, wird es immer schlimmer.
Ständige Beobachtung
Ihr Ex-Freund verbreitet Gerüchte und Anschuldigungen in ihrem Umfeld. «Teilweise wurde ich deswegen auch von Leuten angesprochen, die ich gar nicht kannte.»
Plötzlich stehen in den Briefen an Frau T. die exakten Zeiten, wann sie nach Hause kommt, wann sie die Vorhänge zuzieht. Frau T. realisiert, dass sie unter ständiger Beobachtung steht. «Als ich jeweils am Abend nach Hause kam und den kurzen Weg bis zur Eingangstüre durch die Dunkelheit gehen musste, hörte ich plötzlich jedes kleinste Geräusch.»
Frau T. zieht sich zurück, trifft keine Freunde mehr und geht nur noch aus dem Haus, wenn es wirklich nötig ist. Ihr Stalker überhäuft sie weiterhin mit Briefen und Paketen. «Irgendwann zweifelte ich an meinen Menschenkenntnissen. Warum habe ich das vorher nicht erkannt?»
Erlösung nach über zwei Jahren
Sie zog in ein anderes Quartier, versuchte ihre neue Adresse geheim zu halten. Doch auch dort tauchte ihr Stalker wieder auf. Nach zweieinhalb Jahren erfährt Frau T. von der Stalking-Beratungsstelle der Stadt Bern. Dort fühlt sie sich erstmals ernst genommen.
«Oft sind wir die erste Stelle, welche Betroffenen einen Lösungsweg aufzeigen kann», sagt Natalie Schneiter, Beraterin auf der Stalking-Fachstelle der Stadt Bern. Wenn keine Straftat vorliegt, kann die Polizei keine rechtliche Schritte einleiten. «Stalking an sich ist in der Schweiz nach wie vor nicht verboten. Das macht es schwierig, dagegen vorzugehen», so Schneiter.
Oft reiche es aber schon aus, wenn das Opfer konsequent den Kontakt abbreche. Reicht das nicht, gebe es die Möglichkeit einer sogenannten Täteransprache, erklärt Natalie Schneiter. Dabei wird der Täter oder die Täterin von der Polizei oder einem Anwalt, einer Anwältin kontaktiert. «Dem Stalker wird so aufgezeigt, dass sein Verhalten nicht geht und, dass das Opfer leidet», sagt Schneiter und fügt an: «Die meisten Fälle können wir so beenden.»
Pornografische Zeichnung wird ihm zum Verhängnis
Im Fall von Frau T. begeht der Stalker am Schluss doch noch eine Straftat. Er schickt ihr eine pornografische Zeichnung. So konnte ihn die Polizei abmahnen und gleichzeitig eine Anzeige wegen sexueller Belästigung androhen. Mit Erfolg: seither hat Frau T. nur noch zwei Briefe erhalten.
Sie konnte ihre Ängste ablegen, geht auch wieder in den Ausgang. Nur wenn sie neue Bekanntschaften macht, dann spürt sie die Nachwehen des Stalkings: «Ich kann mir nicht vorstellen, wieder eine Beziehung einzugehen. Das Misstrauen in meine Menschenkenntnisse ist zu gross.»