Lenzburg fiebert dem Wochenende entgegen. Dann wird das «Haus der Gegenwart» eröffnet, die neue Ausstellungshalle des Stapferhauses.
Thema der Eröffnungsausstellung sind «Fake News». Sie wird Tausende von Besucherinnen und Besuchern aus der ganzen Schweiz anlocken. Auch andere Gemeinden des Aargaus hätten das neue Stapferhaus gern bei sich gehabt. Die ehemalige Stadträtin Kathrin Scholl hat die Diskussionen mitverfolgt.
Sie ist sicher: Lenzburg bekam den Zuschlag auch deshalb, weil die Stadt in den letzten Jahren mehr Gewicht bekommen hat. «Ich weiss nicht, ob das mit 7000 aufgegangen wäre, finanziell.»
Scholl spricht von 7000 Einwohnern. So viele hatte Lenzburg nämlich bis Anfang des Jahrtausends. Jahrzehnte lang blieb die Einwohnerzahl gleich. Seither etwa 15 Jahren geht es aber aufwärts. Heute hat die Stadt deutlich über 10'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Und in wenigen Jahren sollen es gar 12'500 sein, das ist der Planungshorizont des Stadtrats. Dieser verfolgt eine Wachstumsstrategie. Möglich machen will die Stadt dies auch durch Fusionen. «Eine Vision ist die Waldstadt, in der der Lenzerwald als Zentrum dient, quasi als grosser Park inmitten der verschiedenen Gemeinden», erklärt Stadtammann Daniel Mosimann.
Stadtammann Daniel Mosimann kennt noch andere Zahlen: «Arbeitgeber hatten wir vor 10 Jahren 650. Heute sind wir bei ca. 800. Und die Arbeitsplätze gingen von 6500 auf 8500 hinauf.»
Deutliche Wachstumsraten also in Lenzburg. Die Stadt profitiere sicher von ihrer guten geografischen Lage zwischen Zürich, Bern, Basel und Luzern, sagt Mosimann. Aber man habe auch bewusst neue Quartiere geschaffen mit durchmischten Wohnnutzungen, sodass sowohl Alte wie auch Junge und Familien gern nach Lenzburg zügeln würden.
Eines dieser Quartiere ist die Widmi zwischen der Altstadt und der Justizvollzugsanstalt. Sie besteht aus verschiedenen Baufeldern. Am auffälligsten (und umstrittensten) ist der Teil mit den farbigen Wohnblöcken.
Fragt man Bewohner, wie es ihnen hier gefalle, hört man nur Positives. Die Lage sei gut, es gebe soziale Kontakte. Und vor allem Kinder würden sich hier wohlfühlen. «Die ganze Siedlung ist wirklich mit dem Kopf gedacht. In dieser Siedlung sind junge Leute offenbar sehr produktiv», sagt ein Rentner, der gerade mit einem Enkel unterwegs ist. Er spricht damit die vielen Geburtstafeln an, die an vielen Balkonen zu sehen sind.
Von offizieller Seite ist die Wachstumsstrategie also ein Erfolg. Und die Bewohner der neuen Quartiere scheinen sich dort wohl zu fühlen. Aber eine wirkliche Begegnung von Neuzuzügern und Alteingesessenen finde (noch) nicht statt. Das beobachtet Heiner Halder, 75 und seit 50 Jahren Lokaljournalist in und für die Region Lenzburg.
Die Kulturkommission veranstalte immer wieder Anlässe in den neuen Quartieren. Der Zuspruch sei aber jeweils bescheiden, sagt Halder. «Die Leute sind vielfach noch nach aussen orientiert. Es hat viele Wohnungen für Pendler. Zürich ist ja nahe. Das Leben der Neuzuzüger bewegt sich noch vor allem in den Neubauquartieren.»
Das beobachtet man auch im Blumenladen an der Rathausgasse. Das Geschäft laufe zwar ordentlich, sagt die Inhaberin. Aber man habe das Bevölkerungswachstum der letzten Jahre umsatzmässig nicht wirklich gespürt.
Fragt man nach den Schattenseiten des Wachstums, kommt bei allen Gesprächspartnern die gleiche Antwort: Der Verkehr.
«Zu den Spitzenzeiten steht man mehr mit dem Auto durch Lenzburg, als dass man fährt», sagt Stadtammann Daniel Mosimann. Noch viel mehr Kopfschmerzen bereitet ihm und allen anderen Befragten aber der Bahnhof. Dieser ist seit Jahren komplett überlastet. Die Unterführungen sind zu eng, die Perrons ebenfalls.
In den Spitzenzeiten kommen manchmal voll besetzte Züge aus Aarau und Zürich gleichzeitig auf dem gleichen Perron an. Die Ankommenden kreuzen sich mit den Wartenden – manchmal geht gar nichts mehr. Und an den Menschenmassen auf den Perrons rasen im Minutentakt Schnellzüge vorbei.
Der Handlungsbedarf ist erkannt. Aber bis der Bahnhof umgebaut ist, dauert es noch etliche Jahre. Und die Bauzeit unter laufendem Betrieb dürfte extrem anspruchsvoll werden. Stadtammann Daniel Mosimann wird bei der Eröffnung des neuen Bahnhofes wohl nicht mehr im Amt sein. Aber er wird erleichtert sein, wenn bis dann kein Unfall passiert ist.