Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges prägt vor allem ein Mann das Bild der Russischen Föderation: Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er dürfte dank Krieg, Repression und kulturellem Wandel die Wiederwahl als Präsident schaffen. Doch welche Faktoren begünstigen das System Putin genau?
Unter Putin hat sich der Verlauf der Geschichte verändert. Und das durchaus wörtlich: Der Kremlchef erfand unter anderem einen drohenden Völkermord im Donbass, um seinen Einmarsch in die Ukraine zu rechtfertigen.
Und diese erfundene Geschichte wird nun auch den russischen Schülerinnen und Schüler gelehrt, zeigt ein Blick in die neusten Geschichtsbücher an russischen Schulen. Es wird von einer «militärischen Spezialoperation» gesprochen, wer widerspricht, riskiert eine Haftstrafe.
Keine Opposition
Einer der berühmtesten Häftlinge bezahlte für seinen Widerstand mit dem Leben: Alexej Nawalny. Er überlebte ein Attentat mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok, kehrte nach Russland zurück, wurde inhaftiert, verurteilt und starb mit 47 Jahren in einem sibirischen Gefangenenlager.
Jemand, der die Haft unter Putin überlebte, ist der Dissident und Autor Oleg Radzinsky. Er und sein Berufskollege Mikhail Shishkin leben mittlerweile in der Schweiz. Für sie ist klar: Nawalny starb nicht, wie vom Kreml kommuniziert, an einem «natürlichen Tod», sondern wurde ermordet.
Mit ihm starb der grosse Hoffnungsträger auf ein Russland ohne Putin – und sein Begräbnis war ein letztes Aufbäumen gegen den repressiven Staat, zu welchem sich Russland in den letzten Jahren entwickelt hat. Tausende Russinnen und Russen strömten an sein Grab, viele wurden festgenommen. Noch heute schmückt ein grosses Blumenmeer die Totenstätte des Kremlgegners.
«Traditionelles» Russland
Russland distanziert sich von allem Liberalen. So sagte etwa die promovierte Biologin Maria Vedunova, man habe einen «grossen Fehler» gemacht, den Frauen die Möglichkeit zur Ausbildung zu geben. Es sei der Tod der russischen Kultur und Zivilisation. Der Kreml nimmt dieses Narrativ dankend auf. Sie sprechen hier von «traditionellem Gedankengut». Ausformuliert heisst das: verschärfte Abtreibungsgesetze, Unterdrückung der LGBTQ+-Szene oder eine Verteufelung von allem, was aus dem Westen stammt.
Dabei ist dem russischen Machtapparat, trotz aller Sanktionen, immer noch wichtig, was der Westen denkt. Das zeigte sich auch als russische Staatsmedien eine Dokumentation des ehemaligen SRF-Russlandkorrespondenten Christof Franzen umschnitten und somit ihrem Narrativ anpassten. Statt breiter Meinungspalette wurden lediglich noch fleissige – und vor allem patriotische Russinnen und Russen gezeigt.
Doch Putin habe in der russischen Bevölkerung keinen breiten Rückhalt. Das sagt der bekannte Regimekritiker und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow im Interview mit RTS. Aber er könne auf zwei wichtige Bevölkerungsgruppen zählen, die von seinem Regime profitierten: Zum einen auf die über 65-Jährigen und zum anderen auf eine neue Mittelschicht von Leuten, die im Sicherheitsapparat tätig seien. Zusammen mit ihren Familien seien das Dutzende Millionen Menschen.
Und was finden Sie? Ist Putin ein Retter traditioneller Werte oder ein gefährlicher Reaktionär? Diskutieren Sie mit auf «dialog»!