Schweizerinnen und Schweizer sind intolerant gegenüber anderen Standpunkten. Und fühlen sich zu leicht beleidigt. Das zumindest sagte die Mehrheit in der Umfrage «Wie geht's, Schweiz?», die das Meinungsforschungsinstitut GFS Bern im Auftrag der SRG im Frühjahr 2023 durchgeführt hat.
Ähnlich klingt es auf der SRG-Plattform «dialog». Über 300 Userinnen und User aus der ganzen Schweiz haben sich in ihrer Landessprache zur Frage geäussert, ob man in der Schweiz noch sagen dürfe, was man denkt. Ihre Kommentare werden mit Hilfe von KI in alle Landessprachen und Englisch übersetzt und anschliessend von Redaktorinnen und Redaktoren gegengelesen.
Eine akute Einschränkung der Meinungsfreiheit gebe es zwar noch nicht, finden viele. Aber: «Wir laufen Gefahr, dass wir in diese Lage kommen», findet beispielsweise Userin «Free Thinking». Und eine grosse Minderheit der Userinnen und User (45 Prozent) denkt bereits, dass man in der Schweiz nicht mehr alles sagen dürfe.
Ebenso vermutet die Mehrheit, dass die Toleranz gegenüber anderen Meinungen weiter abnehmen werde. Was jedoch für viele nicht per se etwas Negatives sei. «Gegenwärtig spielen viele politische Parteien auf Polarisierung und überspitzte Formulierungen», schreibt «Free Thinking» weiter. «Dies soll jedoch nicht mit Dialog verwechselt werden.» Die Userin mit dem Nicknamen «Penseuse Qui Essaie D'être Apaisée» stimmt ihr zu: «Es gibt eine Banalisierung der Gewalt und der Polarisierung. Ein Wunsch, sich Gehör zu verschaffen, indem man ein zu starkes Vokabular verwendet, das eine Eskalation erzeugt.»
Müssen solche starken Voten aber einen Platz im öffentlichen Diskurs haben? Nein, findet User «Schtärne Vieri» und nennt als Beispiel: «In der jüngeren Vergangenheit ist der Antirassismusartikel ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Da ist es eben gut, dass nicht mehr alles gesagt werden könne.» User Gilles M. hingegen wünscht sich hier eine Abwägung: «Das Problem, wenn man sagt, was man denkt, ist, dass man automatisch als anti oder xy-phob oder extrem abgestempelt wird, ohne jegliche Form von Reflexion. Keines der vorgebrachten Argumente wird analysiert», schreibt er. «Leider fördert dies nicht die Debatte und trägt zur zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft bei.»
Diesen Trend beobachtet auch «dialog»-User «Contributeur Diplomate»: «Äusserungen, die vom Mehrheitsdenken abweichen, werden auf gesellschaftlicher Ebene durch moralische Urteile unterdrückt.» Er erinnert aber daran, dass solche Äusserungen in der Schweiz weiter «de facto nicht (unbedingt) auf gesetzlicher Ebene unterdrückt werden und technisch gesehen geäussert werden können.»
Die Debatte der «dialog»-Userinnen und Usern zu diesem Thema verläuft also vielschichtig: Sie unterscheiden zwischen gesellschaftlichen und gesetzlichen Einschränkungen oder debattieren, ob auch extreme Meinungen toleriert werden müssen. Sie fragen sich aber auch, was gegen die Frontenverhärtung gemacht werden kann.
Für die meisten Debattierenden, wie Florian Précise, ist jedoch klar: «Man darf so lange alles sagen, bis es gegen eine Person oder Gruppe geht. Beleidigen, Rassismus und Terrorismus haben in der kleinen Schweiz einfach keinen Platz. Dies finde ich besonders wichtig bei einem solchen Thema.» Für diesen Kommentar erhält er viel Zuspruch aus der Community.
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