Die Kontroverse begann 2018. Enthüllt wurde, dass Fachärzte mehr als eine Million pro Jahr auf Kosten der Grundversicherung verdienen. Der damalige Bundesrat Alain Berset hielt dies für «inakzeptabel» und «nicht zu rechtfertigen».
Bis heute sind diese «Millionärsärzte» nicht verschwunden, wie RTS vom Krankenkassendachverband Santésuisse erfahren hat. Mehrere Fachärzte verzeichneten im Jahr 2021 immense Umsätze.
Drei Gastroenterologen und zwei Radiologen stellten Leistungen zwischen 1.5 und 2 Millionen Franken in Rechnung. Ein weiterer Radiologe erzielte in jenem Jahr sogar einen Umsatz von 4.6 Millionen, so die Auswertung von Santésuisse, die sich auf eine Stichprobe von 6700 Praxen mit nur einem registrierten Arzt oder Ärztin bezieht.
Diese Rechnungen entsprechen etwa 14 bis 20 Arbeitsstunden pro Tag, je nach Tarifsystem. Insgesamt übersteigt bei 50 Spezialisten der Umsatz den Wert von einer Million Franken.
«So ein Arzt existiert nicht»
Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) zweifelt dies an. «Ein einzelner Arzt, der durchschnittlich 20 Stunden oder mehr pro Arbeitstag berechnet, existiert nicht», so die FMH. Es handle sich dabei um Gemeinschaftspraxen oder medizinische Zentren.
«Wenn es sich tatsächlich um den Umsatz Einzelner handeln sollte, müssten diese zwingend einem Wirtschaftlichkeitsverfahren unterzogen werden», so die FMH. «Andernfalls hätte die Versicherung ihren gesetzlichen Kontrollauftrag nicht erfüllt. Wir schützen keine schwarzen Schafe.»
Die Praxen werden gut kontrolliert, versichert Christophe Kaempf von Santésuisse. «Die meisten sind ehrlich, sie rechnen korrekt nach der Tarmed-Tarifstruktur ab.» Diese veraltete Struktur sei aber das Problem. Sie mache solche Extrembeispiele legal.
Während die Medizin immer optimierter wird, wurde Tarmed seit seiner Einführung im Jahr 2004 kaum überarbeitet. Das bedeutet, dass Tarmed auch Kosten oder Arbeitszeit abdeckt, die es nicht mehr gibt. Dies macht einige Leistungen sehr lukrativ.
Zwei Projekte zur Ablösung von Tarmed
Die FMH räumt ein, dass Tarmed «veraltet» sei und dass es «keinen Zweifel daran gibt, dass die Tarife, die jeder Leistung zugewiesen werden, nicht mehr angemessen sind». Weiter sagt der Verband: «Wir setzen uns seit vielen Jahren dafür ein, dass Tarmed durch eine neue und der heutigen Medizin angepasste Tarifstruktur, Tardoc, ersetzt wird. Tardoc ermöglicht es, Über- und Untertarifierungen zu korrigieren.»
Anders sieht dies der Bundesrat. Vier Tardoc-Versionen sind seit 2019 abgelehnt worden, eine fünfte ist seit letztem Dezember hängig.
Wird der neue Tarif wirklich die Situation verändern? Curafutura, der andere Krankenkassenverband, der Tardoc initiiert hat, behauptet, dass das Projekt 2022 Einsparungen von 187 Millionen Franken ermöglicht hätte und spricht von künftigen Einsparungen von bis zu 600 Millionen Franken pro Jahr.
Santésuisse und der Spitalverband H+ sind von Tardoc nicht vollständig überzeugt. Sie schlagen folgenden Ansatz vor: ambulante Pauschalen in Kombination mit Tardoc. So würden insbesondere die unerwünschten Anreize beseitigt, die der jetzige Tarif mit sich bringt.
Der Bundesrat prüft beide Vorschläge. Er könnte bis zum Sommer eine Entscheidung treffen. Nach Jahren des Stillstands scheint eine Lösung dringend erforderlich.