Vor kurzem gelang Ryan, was in Genf Seltenheitswert hat: Er fand eine Vierzimmerwohnung. Er war aus dem Kanton Waadt zugezogen und hatte damit gerechnet, mehr für die Wohnung ausgeben zu müssen. Aber 2700 Franken pro Monat waren dann doch etwas viel.
Später erfuhr er, dass die Miete vor seinem Einzug 1270 Franken betragen hatte. Der Preis hatte sich also mehr als verdoppelt. Ryan fragt sich, «was einen so massiven Anstieg rechtfertigt, zumal unseres Wissens zwischen dem vorherigen Mieter und uns keine Renovationsarbeiten stattgefunden haben».
Video von RTS zum Thema (mit deutschen Untertiteln)
Dieser Fall ist nicht aussergewöhnlich. Er zeigt die Realität des freien Mietmarktes in der Stadt Genf. Von zehn Wohnungen, die seit 2015 den Mieter gewechselt haben, sind vier um mindestens 20 Prozent teurer geworden. Das zeigen Daten von fast 20'000 Wohnungen, die vom kantonalen Statistikamt zur Verfügung gestellt und vom Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) ausgewertet wurden. Jede fünfte Wohnung hat sogar um mehr als 50 Prozent aufgeschlagen.
Alte Verträge nicht berücksichtigt
Die Immobilienbranche verweist oft darauf, dass solch massive Erhöhungen bei sehr alten Mietverträgen gerechtfertigt seien. RTS hat darum bei seiner Auswertung alle Objekte ausgeschlossen, deren Vertrag vor dem Jahr 2000 abgeschlossen worden war.
Diane Barbier-Mueller ist freisinnige Grossrätin und Verwaltungsrätin der Immobilienfirma Pilet & Renaud. Sie zeigt sich überrascht von diesen Zahlen: «Diese Erhöhungen von über 50 Prozent erstaunen mich. Meiner Meinung nach gibt es nicht viele Wohnungen, bei denen solche Erhöhungen möglich sind.»
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Und weiter sagt sie: «Ich erinnere daran, dass es immer noch ein Gesetz von Angebot und Nachfrage gibt. Die Mieter sind nicht bereit, jeden beliebigen Preis zu zahlen.»
Ryan sieht das so: «Nach sechs Monaten Suche und zahlreichen Bewerbungen hatten wir nicht wirklich eine Wahl. Wir nahmen die Wohnung, die wir nehmen konnten, auch wenn wir die Miete für sehr hoch hielten.» Tatsächlich hatte der Kanton Genf im Jahr 2024 eine Leerstandsquote von 0.46 Prozent, dreimal weniger als bei einem als gesund geltenden Markt.
Die Suche nach Renditen
Für Barbier-Mueller ist es legitim, dass Eigentümer die Mieten erhöhen, um sie dem Markt anzupassen. Sie erwähnt die Pensionskassen, die 20 Prozent der Immobilien besässen und in der Lage sein müssten, die Renten auszuzahlen. Beim Kauf eines Gebäudes sei in der Regel «die Rendite sehr niedrig, sodass der Eigentümer den Mietertrag erhöhen will, um Geld zu verdienen und nicht zu verlieren».
Für den Genfer SP-Nationalrat Christian Dandrès ist diese Sorge unbegründet. «Der Zins, den der Vermieter vom Mieter verlangen darf, ist viel zu hoch», sagt er. Das in eine Immobilie investierte Geld bringe derzeit einen Nettozins von 3.5 Prozent ein. Das sei eine «absolut risikolose Anlage».
Das Problem ist nach Ansicht des SP-Politikers vielmehr, dass Mieterinnen und Mieter zu Beginn des Vertrags oft den Anfangszins nicht anföchten. Dann gelte das Gesetz des freien Marktes, und der Vermieter könne dann besonders in Städten wie Genf ausserordentlich hohe Renditen durchsetzen. Für Dandrès ist darum klar, dass Wohnungen heute eher ein «spekulatives Finanzprodukt» sind als «eine Antwort auf ein grundlegendes Bedürfnis».