Eine Studie aus den USA lässt aufhorchen. Neurowissenschaftlern der Universität Texas ist es gelungen, Gehirn-Scans zu entschlüsseln und daraus sprachliche Aussagen zu rekonstruieren. Das konnten die Forschenden anhand von Experimenten mit drei Testpersonen zeigen.
Die Erkenntnisse der Experimente klingen nach Science-Fiction: Das Lesen von Gedanken dank Technologie. Davon sei man aber noch weit entfernt, sagt Hirnforscher Lutz Jäncke.
Der Professor an der Universität Zürich hat sich die Forschung aus den USA genauer angeschaut. «Das ist eine komplizierte Methode. Sie erfordert lange Messungen und die Anwendung spezieller Software», sagt er.
Tatsächlich mussten die Testpersonen je insgesamt rund 16 Stunden im MRT-Scanner verbringen und sich Podcasts und Hörbücher anhören, während die Gehirnaktivitäten aufgezeichnet wurden.
Diese Daten dienten dann als Trainingsmaterial für ein Computermodell, das zusammen mit dem Sprachmodell GPT die Grundlage für den Decoder bildete. Dabei funktioniert der Decoder nur für jene Personen, anhand dessen Daten er trainiert wurde.
Kleiner Fortschritt für Forschung
Weil die Methode so kompliziert ist, sei man noch weit davon entfernt, «von Gedankenlesen im klassischen Sinne zu sprechen», sagt Hirnforscher Jäncke. «Unser Gehirn ist ein faszinierendes, extrem kompliziertes Organ mit 80 bis 90 Milliarden Nervenzellen, jede mit mindestens 10'000 Verbindungen zu anderen Nervenzellen.»
Dieses Netzwerk zu ergründen, erfordere einen grossen Aufwand. Das vollständig zu leisten, ist heute noch nicht möglich.
Darum sei die Untersuchung der Universität Texas nur ein «Mosaikstein» in einer langen Serie von Experimenten, so Jäncke.
Das Potenzial der Forschung ist aber gross. So könnte sie eines Tages jenen Menschen zu kommunizieren helfen, die wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr sprechen können. «In diesem Bereich ist das extrem sinnvoll», sagt er.
Ethiker warnt vor Risiken
Auch Informationsethiker Oliver Bendel glaubt an das positive Potenzial der Technologie. Aber er warnt auch vor Risiken, sollte Gedankenlesen in Zukunft technisch möglich sein: «Natürlich werden sich die Polizei oder Geheimdienste sehr dafür interessieren», sagt der Professor der Fachhochschule Nordwestschweiz.
Natürlich werden sich die Polizei oder Geheimdienste sehr dafür interessieren.
Bendel sieht die Gefahr, dass die Strafverfolgungsbehörden versuchen würden, Menschen nur schon wegen «böser Gedanken» als Kriminelle zu überführen. «Wenn ich mir etwas ausdenke, dann werde ich es oft nicht tun in der Realität», erklärt er.
Link zum wissenschaftlichen Artikel der Universität Texas
Wenn jemand etwa an einen Mord denke, habe das also noch nichts zu bedeuten. «Wir sollten uns wirklich alles ausdenken können. Die Gedanken sind frei», fordert der Ethiker.
Noch ist das Gedankenlesen dank Technologie nicht möglich. Wie die Forschung der Universität Texas gezeigt hat, brauchte es schliesslich auch die Kooperation der Testpersonen, damit die Experimente funktionierten.