Rio, Olympische Sommerspiele 2016. Die chinesischen Schwimmerinnen der 4x100 Meter Lagenstaffel geben alles – und landen doch auf dem ungeliebten 4. Platz. Nach dem Grund befragt, antwortete Fu Yuanhui frank und frei: «Ich habe gestern meine Tage bekommen und habe mich deshalb erschöpft gefühlt.»
Es folgten Lobeshymnen. Denn wann hat jemals eine Schwimmerin offen über Tampons im Schwimmbecken gesprochen, eine Skifahrerin über die Schwierigkeit, sich beim Training auf dem Gletscher um die Monatshygiene zu kümmern oder eine Turnerin über das Unwohlsein, trotz Blutung im hautengen Turnanzug aufzutreten.
Das hartnäckige Schweigen zu den Tagen erstaunt, denn Leistungssportlerinnen sind zu allererst einfach: Frauen. Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter. Sportliche Frauen, vielleicht mit Kinderwunsch. Frauen mit Zyklus. Und der schert sich im gesunden Fall keinen Deut darum, ob ein Wettkampf im Schwimmdress, ein Training auf der Loipe oder eine Aufführung des «Schwanensees» ansteht.
Unter Sportlerinnen sind Frauenprobleme durchaus ein Thema. Teamkolleginnen diskutieren, ob die Pille das «Problem» löst – oder eher verschärft. Ob ein Baby das Aus im Spitzensport bedeutet.
Die Auswirkungen des Zyklus sind so verschieden wie die Frauen
Medizinisch klar ist: Frauen mit völlig unproblematischer Periode wird ihre Blutung höchstens lästig sein, ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigen wird sie aber nicht. Anders ergeht es Frauen, die mit ihren Tagen stärker kämpfen: Bauchkrämpfe, Kopfweh, Rückenschmerzen, Wassereinlagerungen oder Stimmungsschwankungen wirken sich durchaus auf die sportlichen Ergebnisse aus.
Umgekehrt löst sich in Hochleistungsphasen das Problem oft von selbst und die Blutung bleibt wegen der körperlichen und psychischen Belastung Wochen bis Monate aus – dauert der Zustand länger an, wird es problematisch: Was so praktisch klingt, bedeutet, dass die Eierstöcke zu geringe Mengen des weiblichen Hormons Östrogen produzieren. Das ist schlecht für den Knochenstoffwechsel und führt auf Dauer zu einer verminderten Knochenmasse und möglichen Stressfrakturen.
Sportlerinnen brechen das Schweigen
Spätestens seit die Schwimmerin Fu Yuanhui das Eis gebrochen hat, sprechen auch immer mehr Sportlerinnen über ihr Frau-sein. Und immer mehr Athletinnen kehren nach der Schwangerschaft in den Spitzensport zurück. Vier Frauen erzählen von ihren Erlebnissen.
Michelle Gisin, Skirennfahrerin
«Eine wirklich super Situation: auf dem Gletscher in Zermatt auf fast 4000 Metern seine Mens zu bekommen. Das Training ist streng, es ist kalt, es windet. Wenn du Glück hast, gibt es ein Toitoi, wenn nicht, wird es unangenehm. Wenn du dann noch starke Bauchkrämpfe hast und weisst, du musst am Ende des Tages noch eine Stunde mit der Bahn abwärts, bis du endlich ins Bett kommst – dann denkst du einfach: Ich mag jetzt nicht mehr.
Mir hilft das Wissen, dass die Mens bei mir der Auslöser für schlechte Laune, Konzentrationsprobleme und Energielosigkeit ist. Nur ist mir das manchmal nicht direkt klar: Wir sind immer unterwegs, ich habe oft keine Ahnung, welcher Wochentag ist, geschweige denn welches Datum. Auf einmal merkst du: Irgendwas ist komisch. Ich habe dann meine App, wo ich kurz nachschaue und dann ist mir alles klar.
Wenn etwas sehr wichtig oder mit extrem viel Spannung verbunden ist, dann setzt die Mens oft sowieso erst danach ein. Beispiel WM 2017: Da hätte meine Mens kommen müssen, es ist aber nichts passiert – dafür danach umso stärker. Unter Anspannung und Stress kann sich alles schon ein, zwei Wochen verschieben.
Ich hätte Mühe, meinem Trainer zu sagen: Ich kann heute nicht kommen, weil ich wegen meiner Mens Bauchkrämpfe habe.
Natürlich trainieren wir und nehmen an Wettkämpfen teil, egal, ob wir gerade unsere Tage haben. Die meisten Sportler können ihren Körper mit seinen Symptomen ausblenden, solange sie Leistung bringen wollen und fokussiert sind. Sobald man aber einen Moment Ruhe hat, kommen dann die Schmerzen und Bauchkrämpfe – das ist beispielsweise auch mit Verletzungen so.
Alles in allem ist die Periode bei uns im Skisport mit seiner männerdominierten Trainerwelt immer noch ein grosses Tabuthema. Ich hätte Mühe, meinem Trainer zu sagen, ich kann heute nicht kommen, weil ich wegen meiner Mens Bauchkrämpfe habe. Mit meinem Servicemann, der meine Ski präpariert, rede ich aber lustigerweise offen, denn er ist die Person, die immer bei mir ist – und dann ist es einfacher, wenn er weiss, warum ich jetzt gerade so zusammengekrümmt dasitze.»
Sabrina Windmüller, Skispringerin
«Ich nehme schon lange einen Verhütungsring, anfangs vor allem, um die Menstruation zu regulieren. Denn im Skispringen ist man viel unterwegs, vor allem viel draussen. Es gibt nicht bei jeder Schanze ein WC. Da muss man dann in den Busch. Es gibt Tolleres als mit dem Tampon zwischen den Bäumen zu hantieren.
Es gibt Tolleres als mit dem Tampon zwischen den Bäumen zu hantieren.
Immer im Sommer, wenn die Wettkampfdaten herauskommen, gleiche ich das mit meinem Zyklus ab. Wenn wir in Übersee sind, in Japan zum Beispiel, schaue ich, dass ich keine Mens habe, weil der Körper wegen des Jetlags sowieso ein wenig verrücktspielt. Und ich schaue, dass ich meine Tage nicht gerade an Wettkämpfen habe. Denn wenn ich mich auf etwas konzentriere und fokussiere, stört es mich, auch noch an meine Mens zu denken. Und die Wassereinlagerungen kurz vor der Periode können ein bis eineinhalb Kilo auf der Waage ausmachen. Das hat keine riesigen Auswirkungen, aber man will ja das Optimum für sich herausholen.»
Viktorina Kapitonova, Primaballerina
«Die Entscheidung für mein Kind basierte nicht auf meiner Karriere, sondern einfach auf meinem Leben. Ich kenne viele Ballerinas, die nach der Schwangerschaft noch viel bessere Tänzerinnen geworden sind – effizienter im Training, ausgeglichener, emotionaler, sicherer in den Vorführungen. Ich bin mir sicher, auch ich werde noch speziellere und aufregendere Aufführungen haben als vor meinem Kind.
Während der Schwangerschaft ist aber irgendwann mein Tanzpartner vor mir zurückgeschreckt, weil er meinen Bauch sah und gefühlt hat, dass da neben mir auch noch jemand anderes ist. Die Kollegen hatten Angst, mir wehzutun. Daraufhin fiel die Entscheidung, dass ich keine Auftritte mehr mache. Trotzdem trainierte ich weiter. Während jeder Schwangerschaftswoche machte ich eine Pirouette und filmte mich dabei – da kann man gut sehen, wie sich der Körper veränderte und der Bauch wuchs. Zum Ende der Schwangerschaft hin wurde es dann doch schwierig, weil mein Sohn vier Kilo wog.
Eine weibliche Schwäche kann auch eine Stärke sein.
Im Moment bin ich noch beweglicher als vorher. Das liegt an den Hormonen, die der Körper ausschüttet, wenn man stillt. Das ist auf der einen Seite ein grossartiges Gefühl, auf der anderen Seite kann das aber auch gefährlich sein. Man muss die Muskeln noch stärker trainieren und ganz genau fühlen, um sie gut zu kontrollieren.
Choreographien bauen auf die weibliche Kraft, dem Publikum Emotionen zur vermitteln und sie dazu zu bringen, einer Geschichte zu folgen. Vielleicht ist eine Ballerina nach der Geburt technisch gesehen etwas weniger brilliant als normal, aber ausdrucksstärker. Eine weibliche Schwäche kann also auch eine Stärke sein.»
Selina Gasparin, Biathletin
«Es ist ein totaler Boom, dass Sportlerinnen Kinder bekommen und dann wieder in den Leistungssport zurückkehren. Vielleicht hat es einfach ein paar Athletinnen gebraucht, die gezeigt haben, dass es einerseits vom Biologischen her möglich ist, und andererseits sind vielleicht auch die Gesellschaft und die Verbände offener.
Ich habe bereits vor der Schwangerschaft mit meinem Verband über meine Familienplanung geredet und gefragt, ob sie mich unterstützen – und auch mit Sponsoren. Es waren nicht alle gleich begeistert, dass ich eine Saison ausfalle, aber schlussendlich haben alle mitgemacht und mich voll unterstützt.
Ich hätte es psychisch nicht geschafft, mit Kind im Bauch an meine körperlichen Grenzen zu gehen.
Im Training habe ich während der Schwangerschaft die intensiven Einheiten weggelassen und nur noch im Ausdauerbereich trainiert, auch, weil ich es psychisch nicht geschafft hätte, mit Kind im Bauch so an meine Grenzen zu gehen – obwohl das anscheinend fürs Baby kein Problem ist. In dieser Zeit habe ich den Sport wieder mehr genossen und gespürt, wie sehr ich ihn brauche.
Zwei Wochen nach der Geburt habe ich wieder mit dem Training angefangen – aber bei Null. Da muss man einfach Geduld haben. Es kann sein, dass nach der Geburt die Batterien leer sind. Auch nach sechs Monaten war ich noch nicht so weit wie gedacht, erst nach einem Jahr bin ich wieder voll eingestiegen. Auch heute merke ich meinem Körper die Schwangerschaft noch an. Ich bin vielleicht sogar leistungsfähiger, aber Belastungen spüre ich anders.
Der Wind am Schiessstand macht mir deutlich mehr Sorgen als meine Tage.
Im Team reden wir offen über solche Frauenthemen – auch über die Mens. Unserem Trainer haben wir aufgetragen, immer Tampons für den Notfall im Rucksack zu haben. Die Periode ist nicht nur lästig, sondern auch ein guter Indikator: Wenn sie in einer intensiven Trainingsphase ausbleibt, zeigt das, dass man vielleicht körperlich an sein Limit kommt.
Ich habe verschiedene Hormonpräparate zur Mentruationskontrolle ausprobiert und gemerkt, dass ich dann psychisch nicht so gut drauf bin. Gerade im Biathlon ist das aber wichtig. Der Wind am Schiessstand macht mir deutlich mehr Sorgen als meine Tage.»