Google und Wikipedia sind Urgesteine des Internets mit ähnlichem Jahrgang: Die Suchmaschine startete 1997, vier Jahre später die Enzyklopädie. Beide haben also quasi noch im Sandkasten miteinander gespielt. Doch wie es bei kleinen Kindern vorkommt, ist plötzlich der beste Freund nicht mehr der beste Freund.
In der Beziehung der beiden Dienste war das 2010 der Fall, als Google sich wie ein Teenager abnabeln wollte mit einer Alternative zu Wikipedia. Das Projekt hiess Knol. Schnell umfasste der neue Dienst rund 700'000 Artikel – ein Frontalangriff auf den ehemaligen Sandkasten-Spielfreund Wikipedia. Dennoch konnte Google dem Original nicht das Wasser reichen, warf 2012 den Bettel hin und legte den Grundstein für eine Heirat, die bis heute hält.
Unruhige Teenie-Zeit
Gleich nach der Beerdigung von Knol führte Google Infoboxen ein, die sogenannten Knowledge Panels: Wer nach bestimmten Tieren, Pflanzen, Ortschaften, Bauwerken oder berühmten Menschen aber auch sachlichen Begriffen wie Kugel oder Salzsäure sucht, erhält nicht nur Suchtreffer anzeigt sondern rechts neben dem Google-Suchformular eine Detailansicht mit Daten und einem Teil der Einleitung des entsprechenden Wikipedia-Artikels .
Möglich ist das wegen des Grundprinzips von Wikipedia: Alle Inhalte sind frei, jede und jeder darf sie verwenden. Allerdings muss angegeben werden, woher die Inhalte stammen – eben, von Wikipedia. Da Google diese Quellenangabe zu Beginn nicht ganz so eng sah, war die erste Ehe-Krise vorprogrammiert. Heute sei vieles besser, sagt Lisa Seitz, Chief Advancement Officer der Wikimedia Stiftung im Digital Podcast.
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Wikipedia habe Google gebeten, klare Quellenangaben zu machen und bei den Infoboxen auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu verlinken. Dadurch kämen heute die meisten BesucherInnen über die Google-Suchmaschine zu Wikipedia.
Ein weiteres, ähnliches Problem soll ebenfalls bald gelöst werden: Sprachassistenten wie Google Now, Siri oder Alexa verwenden über die Sprachausgabe oft Informationen aus Wikipedia. Hier geht die Enzyklopädie derzeit unter. Lisa Seitz erklärt, man arbeite an einem akustischen Signal, das ertönen soll, sobald Infos aus Wikipedia übernommen werden.
Das verflixte siebte Jahr
2018 stand das Wikipedia-Google Ehepaar vor seiner bis jetzt grössten Krise. Der Grund: Schlechte Kommunikation.
Google hatte bei umstrittenen Fake-News-Videos auf Youtube zum Klimawandel Links eingeblendet auf entsprechende Wikipedia Artikel – als vertrauenswürdige Quelle und seriöse Ergänzung zu heiklen Video - ohne, dass Google dies Wikipedia mitgeteilt hätte.
Eigentlich eine gute Sache aber: Durch die Verlinkung erhielt Wikipedia nun eher zu viel Aufmerksamkeit vor allem von Personen, die begannen, die Wikipedia-Artikel so zu manipulieren, dass sie ihrer eigenen Weltsicht entsprachen. Das zu korrigieren ist für die Autorinnen und Autoren von Wikipedia aufwändig und drängt sie unfreiwillige in die Rolle, als Fake-News-Checker zu amten – jene Verantwortung zu übernehmen, die eigentlich Google übernehmen müsste.
Auf dem Weg zum alten Ehepaar
Mittlerweile hätten die Beiden auch diesen Zwist beigelegt, sagt Lisa Seitz. Man habe Google gebeten, bei neuen Verlinkungen Wikipedia im Vorfeld zu informieren, damit man rechtzeitig bereit sei, gegen «Trolle» und Manipulationen vorzugehen. Um Wikipedia dabei zu unterstützen, hat Google 2021 das Wikiloop-Programm ins Leben gerufen, das verschiedene Redaktionswerkzeuge enthält, die helfen sollen, die Qualität der Inhalte zu garantieren.
Im Kampf gegen Manipulationen stellt Google nun auch Daten aus den eigenen Erkennungssystemen zur Verfügung.
Alles eitel Sonnenschein bei Google und Wikipedia? Fast scheint es, als wenn ihre Beziehung zwar ewig anhalten wird, aber der notwendige Biss dabei etwas verloren gegangen ist.
Das könnte sich ändern, wenn das Metaverse klarere Formen annimmt. Denn auch dort werde Wissen gebraucht, meint Lisa Seitz und sie könne sich nicht vorstellen, dass es ohne Wikipedia funktionieren werde.
Aber wohl auch nicht ohne Google. Der nächste Ehe-Krach dürfte wohl nur noch eine Frage von ein paar Jahren sein.