Im ländlichen Kanton St. Gallen gebe es auffallend viele Fälle, erklärten Vertreterinnen und Vertreter von Opferhilfe, Staatsarchiv und Kanton. Das Staatsarchiv hat über 50 kleine und grössere Heime entdeckt, die an den Zwangsmassnahmen beteiligt waren. Viele davon existieren nicht mehr. Nicht alle der Kinder, Jugendliche oder Erwachsenen, die dort untergebracht waren, stammten aus dem Kanton. Sie seien auch aus dem Wallis, aus den Kantonen Bern oder Freiburg in der Ostschweiz platziert worden.
Unter anderem gab es in Altstätten und Rebstein grössere Anstalten für Mädchen aus der ganzen Schweiz. Im Obertoggenburg oder in Amden seien die Kinder auch «wegen der gesunden Luft» versorgt worden.
Beim Staatsarchiv haben sich von 2014 bis 2018 über 350 Personen gemeldet, für die nach den vorhandenen Akten gesucht wurde. Und noch immer treffen Gesuche ein. Bis Mitte 2019 waren es 18 neue Fälle. In den Unterlagen sind die tatsächlichen Geschehnisse allerdings meist nicht abgebildet. Dort finden sich beispielsweise alle zwei Jahre Berichte der Vormundschaft oder auch Angaben zur Gesundheit der Kinder. Vieles sei hinter den Mauern der Institutionen geblieben, lautete ein Fazit von Regula Zürcher vom Staatsarchiv. Die Betroffenen bekamen deshalb die Möglichkeit, die Akten durch eine eigene Stellungnahme zu ergänzen, etwa durch einen Erlebnisbericht.
Aus dem Kanton St. Gallen haben 412 Personen beim Bund ein Gesuch für eine Entschädigung für das Unrecht gestellt. In den entsprechenden Fonds seien aus dem St. Galler Staatshaushalt freiwillig 900'000 Franken eingezahlt worden, sagte Regierungsrat Martin Klöti.
Es ist wichtig, dass wir den Betroffenen zuhören und sie ihre Geschichte erzählen lassen. Denn das wurde ihnen verwehrt.
Am Gedenkanlass für Opfer und Angehörige am Samstag in St. Gallen nahmen über 300 Personen teil. Für die Betroffenen sei es wichtig, dass der Kanton Betroffenheit zeige und sich entschuldige, sagte Klöti weiter. Und: «Es ist wichtig, dass wir ihnen zuhören, sie ihre Geschichte erzählen lassen. Denn das wurde ihnen verwehrt.»
Schwarz für das Leid, grün für die Hoffnung
Auch Vertreterinnen und Vertreter der Kinder- und Erwachsenenschutzvereinigung nahmen am Anlass in St. Gallen teil. Sie wollten mir ihrer Anwesenheit darauf hinweisen, dass es aufgrund von Behördenentscheiden auch heute noch Leid gibt und das schwarze Kapitel noch nicht zu Ende ist, wie Präsidentin Jasminka Brcina erklärte.
Alle Vereinsmitglieder waren schwarz gekleidet und trugen eine grüne Blume auf der Brust. Schwarz für das Leid, grün für die Hoffnung, so Brcina weiter.