Im Atomkraftwerk Leibstadt ist es wegen eines menschlichen Fehlers zu einer höheren Strahlenbelastung gekommen. Zum Vorfall kam es während der Jahresrevision des AKW am 20. September 2018. Laut dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) ist das Kraftwerk «von seinen eigenen Vorgaben und Standards abgewichen und hat die Qualitätssicherung seiner Arbeiten teilweise versäumt».
Der Fall zeige, dass die Massnahmen nach vorherigen menschlichen Fehlern keine Wirkung gehabt hätten, so das Ensi auf seiner Website. «Leider gab es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Vorfällen aufgrund menschlichen Fehlverhaltens im KKL», wird der Leiter Aufsichtsbereich Kernkraftwerke Georg Schwarz zitiert.
Beim aktuellen Fall geht es um einen Vorfall bei der Lagerung des Wasserabscheiders. Dieser befindet sich oberhalb der Brennelemente im Reaktorkern. Der Abscheider entfernt Wassertropfen, die mit dem aufsteigenden Dampf aus dem Reaktorkern mitgerissen werden. Bei der Lagerung des Wasserabscheiders kam zu einer unerwarteten Erhöhung der Ortsdosisleistung am Abstellplatz des Wasserabscheiders. Die Strahlenbelastung stieg von 0,06 Millisievert (mSv) pro Stunde auf 2 mSv pro Stunde an.
Die Dosisgrenzwerte für das strahlenexponierte Personal (Grenzwert: 20 mSv pro Jahr) wurde laut Ensi nicht überschritten. Es sei auch keine Radioaktivität in die Umgebung des AKW freigesetzt worden.
Dichtung versagte, weil Armatur falsch bedient wurde
Das Kernkraftwerk Leibstadt befand sich am 20. September 2018 in der Jahreshauptrevision. Während dieses Stillstands wurde der Wasserabscheider in der Nacht ausgebaut und im speziell dafür vorgesehenen Lagerbecken abgestellt.
Weil eine Armatur für dieses Lagerbecken falsch bedient wurde, versagte eine Dichtung teilweise. Dies führte dazu, dass der Wasserspiegel im Wasserabscheider-Lagerbecken absank und dadurch die Abschirmung der Strahlung durch das Wasser abgeschwächt wurde, wie das Ensi festhält.
Die Atomaufsichtsbehörde betrachtet den Fall als Vorkommnis der Stufe 1 («Anomalie») der internationalen Ereignisskala. Das AKW ordnete die Sache der Stufe 0 zu.
«Mehrfache menschliche Fehler im gesamten Arbeitsprozess»
Die Aufsichtsbehörde begründet die höhere Stufe mit dem «Auftreten mehrfacher menschlicher Fehler im gesamten Arbeitsprozess» des KKL. Es sei von seinen eigenen betrieblichen Vorgaben und Standards abgewichen und habe die Qualitätssicherung seiner Arbeiten «teilweise versäumt».
Der Fall zeigt laut dem Ensi auch, dass die Massnahmen keine Wirkung gezeigt hätten, welche nach der Ursachenanalyse von vorangegangenen menschlichen Fehlern ergriffen wurden. Das Ensi habe daher erste Massnahmen ergriffen, um die Sicherheitskultur im AKW nachhaltig zu verbessern.
Das AKW Leibstadt muss der Aufsichtsbehörde darlegen, warum die bisher getroffenen Massnahmen keine Wirkung gezeigt haben. Zudem muss es prüfen, warum ein Dosismessgerät kein akustisches Warnsignal aufwies und welche Bedeutung das fehlende Signal für den Ablauf des Vorkommnisses hatte.
Kritik bereits vor wenigen Tagen
Bereits Ende Januar hatte das Ensi das AKW mit deutlichen Worten kritisiert. Ein Mitarbeiter hatte entgegen behördlicher Vorgaben und betrieblicher Instruktionen seit 2016 an drei Neutronen-Dosisleistungsgeräten keine Funktionstests mehr durchgeführt.
Der mittlerweile freigestellte Mitarbeiter hatte lediglich die Werte der Prüfung notiert. Nach dem Fall forderte das Ensi Massnahmen, um die Sicherheit nachhaltig zu verbessern.
Die Ensi-Direktion kündigte an, sie wolle das Management des Energiekonzerns Axpo, der als Mehrheitseigentümer die Geschäfte des KKL führt, und die Kraftwerksleitung einbestellen.
Das Ensi will nach eigenen Angaben klar zum Ausdruck bringen, dass die Häufung von Vorkommnissen im Bereich Mensch und Organisation nicht toleriert werde. Die Verantwortlichen müssten jetzt rasch dafür sorgen, dass nötige Massnahmen ergriffen würden.