SRF: Joe Keel, was gefällt Ihnen so an Gefängnissen?
Joe Keel: Es sind weniger die Gefängnisse selber, die den Reiz ausmachen, sondern eher die Menschen, die in diesen Gefängnissen sind. Ich habe mich schon immer für Menschen interessiert, die nicht ganz einen geraden Lebenslauf haben. Und da zu probieren, diese Menschen wieder auf den «rechten Weg» zu bringen, das macht den Reiz aus.
Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass ein Straftäter nicht rückfällig wird – das haben Sie schon mehrfach öffentlich gesagt. Wo liegt denn das Ziel, wenn nicht bei dieser absoluten Sicherheit?
Wir probieren natürlich, die Risiken so weit wie möglich zu senken. Und klar ist es auch unser Ziel, dass nichts passiert. Aber es ist einfach nicht realistisch. Es gibt einen berühmten Forensiker, der sagt, man kann alle Rückfälle verhindern, aber nur, wenn man alle Straftäter lebenslänglich wegsperrt. Wenn man sich das überlegt, wäre es ein kompletter Unsinn und auch nicht bezahlbar. Völlig überrissen. Unser Ziel ist es, diejenigen Menschen mit erhöhten Risiken herauszufiltern, an diesen Risiken zu arbeiten und damit die Rückfallgefahr wenigstens zu senken. Und wenn uns das gelingt, dann gelingt es uns auch, künftige Opfer zu vermeiden und das ist eigentlich das Ziel, das wir mit dem Justizvollzug verfolgen.
Das Ziel des Justizvollzugs ist es, künftige Opfer zu vermeiden.
Im Justizvollzug wird mit den Tätern gearbeitet, sie werden mit ihren Taten konfrontiert, auf das Leben nach der Haft vorbereitet. In der Bevölkerung kann das zu einem Gefühl führen, dass für die Täter viel gemacht wird, für die Opfer aber wenig.
Ich finde es nicht richtig, dass man diese zwei Sachen gegeneinander ausspielt. Weil es letztlich den Opfern zugute kommt, wenn es uns gelingt gute Täterarbeit zu machen. Ich sage nicht, dass man für die Opfer nicht auch noch mehr machen könnte. Bei uns sind die Opfer immer, auch während dem Vollzug, ein Thema. Also das ist immer im Hinterkopf, wenn es darum geht, Risiken einzuschätzen. Deshalb: Nicht gegeneinander ausspielen!
Das Gespräch führte Annina Mathis.