SRF News: Sie reden oft mit Gemeinderäten. Was sind momentan noch die grössten Knackpunkte in den Gemeinden bei der Umsetzung des KiBeG?
Jede Gemeinde hat das Gefühl, sie müsse etwas Eigenes anbieten. Obwohl sie vielleicht gar keinen Bedarf hat – oder zuwenig Bedarf.
Aber im Gesetz steht ja, dass die Gemeinden etwas anbieten müssen.
Im Gesetz steht, dass sie Zugang gewähren müssen zu einem bedarfsgerechten Angebot. Und das heisst nicht unbedingt, dass sie selber etwas anbieten müssen, sondern dass man sich in der Region umschaut: Was bieten andere an? Was gibt es für Möglichkeiten für Kooperationen? Und gerade für Eltern mit Kindern im Vorschulalter ist wichtig, dass sie Angebote in der Umgebung nutzen können.
Weiss man denn, ob überhaupt alle Gemeinden im Aargau einen Bedarf haben an familien- und schulergänzender Kinderbetreuung?
Der Bedarf ist sicher nicht in allen Gemeinden vorhanden. Es gibt kleine Gemeinden, die den Bedarf einfach nicht haben oder das über eine Tagesfamilie regeln können. Wichtig im Gesetz ist, dass die Gemeinden nicht nur Angebote schaffen oder den Zugang dazu, sondern dass sie sich finanziell an den Elternbeiträgen beteiligen. Das ist eigentlich der Hauptpunkt.
Der Hauptpunkt ist, dass sich die Gemeinden finanziell beteiligen MÜSSEN.
Bis jetzt war es ja so, dass die Gemeinden ihre Beiträge an die Institutionen zahlen. Mit dem neuen Gesetz stellt man von dieser Objektfinanzierung auf die Subjektfinanzierung um. Das Geld geht nun direkt an die Familien. Welche Auswirkungen hat das auf die Gemeinden und die Institutionen?
Bei den Gemeinden hat es den Effekt, dass diese momentan nicht wissen, wie viele Familien finanziert werden müssen. Sie wissen auch nicht, wie hoch die Subventionen sein werden. Und bei den Betrieben wird es so sein, dass sie keine festen Beiträge mehr erhalten von den Gemeinden. Dort kann ein Problem mit der Liquidität entstehen. Die Betriebe müssen auch die Vollkosten definieren. Erst dann können sie neue Tarife machen.
Ein Mittagstisch wird z.B. getragen von einem Elternverein. Kommen also auf solche Vereine grosse Veränderungen zu?
Ganz genau. Die waren sich bis jetzt gewöhnt, dass sie von der Gemeinde einen fixen Beitrag erhalten. Basierend darauf konnten sie tiefeTarife anbieten für alle. Nehmen wir an, ein Mittagstisch habe sein Angebot bis jetzt für 12 Franken verrechnet, also Essen und Betreuung über Mittag. Mit der Vollkostenrechnung für Miete, Verpflegung, Löhne, Material etc. liegen die Kosten schnell einmal bei 25 Franken. Die Gemeinde fianziert aber neu eben nicht mehr die Einrichtungen, sondern die Eltern.
Das tönt nach viel Aufwand. Und bei den Diskussionen über das neue Gesetz war das ja immer ein Argument der Gemeinden, dass bei ihnen der Aufwand steigen würde. Bewahrheitet sich das nun?
Die Befürchtungen werden sich ganz sicher bewahrheiten. Die Gemeinde ist nachher verpflichtet, die Anträge der Eltern entgegen zu nehmen und zu prüfen. In grossen Gemeinden werden das viele Anträge sein. Das kann man nicht mit bestehenden Pensen schaffen, sondern dort braucht es zusätzliche Ressourcen.
Die Befürchtungen der Gemeinden werden sich ganz sicher bewahrheiten.
Man muss auch berücksichtigen, dass die Eltern Wahlfreiheit haben. Sie können ihr Kind in irgendeine Einrichtung schicken, das muss nicht in der eigenen Gemeinde sein. Die Gemeinde muss dann aber alle Einrichtugnen anschauen, auch in anderen Gemeinden, und dort die Qulität überprüfen. Das ergibt eine hohen Aufwand. Die Gemeinden müssen jeden Antrag von Familien auf Subventionen prüfen. Und alle Zahlungen sind monatlich.
Das tönt so, wie wenn Ihnen die Arbeit für die Beratung nicht so schnell ausgehen wird.
Im Moment ist der Beratungsaufwand noch hoch. Es gibt Gemeinden, die erst jetzt realisieren, dass sie überhaupt einen Bedarf abdecken müssen, vor allem im schulergänzenden Bereich. Damit sind Mittagstische oder Tagesstrukturen vor Ort gemeint. Dort braucht es noch viel Aufbauberatung.
Das Gespräch führte Stefan Ulrich.