Den Satz «Die Digitalisierung des Gesundheitswesens spart Kosten» haben wir so oft gehört, dass er zur vermeintlichen Binsenwahrheit wurde.
Simon Wieser, Ökonom am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie, warnt vor allzu viel Euphorie: Die Digitalisierung führe nicht zwingend zu weniger Kosten. Vielmehr müssten wir uns die Frage stellen, was die Digitalisierung macht: Bringt sie kostensenkenden oder kostentreibenden technologischen Fortschritt?
Auf der einen Seite kann man durch Digitalisierung Prozesse effizienter gestalten und so Kosten sparen (Prozess-Innovationen). Auf der anderen Seite ergeben sich durch die Digitalisierung aber auch neue Behandlungsmöglichkeiten (Produkt-Innovationen), die zwar kostentreibend wirken, dafür aber die Lebensqualität steigern.
Wir sind deine Korrespondenten aus der digitalen Welt. Ist ein Chip drin oder hängt es am Internet? Wir berichten wöchentlich. Smartphones, soziale Netzwerke, Computersicherheit oder Games – wir erklären und ordnen Digitalisierungs-Vorgänge ein, seit 2006
Um diesen Podcast zu abonnieren, benötigen Sie eine Podcast-kompatible Software oder App. Wenn Ihre App in der obigen Liste nicht aufgeführt ist, können Sie einfach die Feed-URL in Ihre Podcast-App oder Software kopieren.
Oft kann ein Digitalisierungsschritt nicht eindeutig der einen oder anderen Seite zugeordnet werden. Das macht die Sache erst recht kompliziert.
Ersatz oder Zusatz?
Ein Beispiel für Innovation sind «Schlaf-Tracker». Das sind medizinische Geräte, die im Schlafzimmer den Schlaf überwachen und analysieren - ein «Schlaflabor für zu Hause» also. Untersuchungen in klassischen Schlaflaboren an einer Klinik sind teuer – digitale, mobile Labore könnten diese also (teilweise) ersetzen und so Kosten sparen.
Mögliche Kehrseite: Weil die digitale Technologie so einfach, praktisch und auf den ersten Blick günstiger ist, könnte sie Ärztinnen und Ärzte dazu verleiten, vermehrt das «Labor für zu Hause» zu verschreiben, um präventiv abzuklären, ob das Leiden ihres Patienten mit einem Schlafproblem zusammenhängt – ein Leiden, für das sie nie ein klassisches Schlaflabor in Anspruch genommen hätten. So kann neue Technologie Mehrkosten verursachen.
Es sei immer eine «Kosten-Nutzen-Frage», erläutert Gesundheitsökonom Simon Wieser. Wenn eine neue digitale Technologie einen grossen Nutzen für die Patienten hat, darf sie auch etwas kosten. Anders formuliert: Steigende Kosten sind in Ordnung, wenn ein entsprechender Gesundheitsnutzen entsteht.
Deshalb sei das Argument «Digitalisierung spart Kosten» oft ein wenig bemühend, so Wieser. Es sei offenbar ein gewisser «Rechtfertigungs-Druck» vorhanden.
Patientendossier auf Papier mit Corona-Viren
Produkt-Innovationen können also zu steigenden Kosten führen. Hoffnung auf einen kostendämpfenden Effekt liegt deshalb bei den Prozess-Innovationen, der Kommunikation zwischen den sogenannten «Leistungserbringern» (Ärzte, Spitäler, Apotheken, Versicherungen etc.).
Diese Kommunikation soll weiter digitalisiert werden, weil herkömmliche Kommunikation (Papier, Fax, Telefon) aufwändig und fehleranfällig ist. Wieser führt dazu ein anekdotisches Beispiel an: Ein Corona-Patient wird in ein anderes Spital verlegt verlegt, mit dabei das Patientendossier auf Papier. Die betreuenden Personen vor Ort hätten die wichtigen Dokumente als erstes im Papierkorb entsorgt, weil die Papiere «mit Covid-Viren verseucht seien».
Das elektronische Patientendossier soll solche Probleme lösen. Doch die digitale Krankenakte ist zu einem Trauerspiel verkommen: Expertinnen und Experten diskutieren, ob es überhaupt noch Sinn macht, an seiner bisherigen Form festzuhalten – oder ob ein Neustart effizienter sei. Für diesen Digitalisierungs-Schritt hiesse das: Ausser Spesen nichts gewesen.