Täglich gehen bei der Zürcher Kantonspolizei dreizehn Meldungen ein wegen häuslicher Gewalt. Allerdings kommt es sehr selten zu einem Strafverfahren. Denn in der Hälfte aller Fälle ziehen die Opfer ihre Anzeige zurück oder verweigern die Aussage.
Das zeigt eine Studie des Kriminologischen Instituts der Universität Zürich. Im Auftrag der Zürcher Justizdirektion hat das Institut mehrere hundert Fälle ausgewertet. Eine wichtige Erkenntnis der Studie: Die Opfer wollen häufig gar nicht, dass es zu einem Strafverfahren kommt.
Echter Opferschutz bedeutet, auf die Bedürfnisse der Opfer einzugehen.
Die Resultate sollen nun in die Arbeit der Zürcher Staatsanwaltschaften einfliessen. Konkret bedeute dies, so Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP), dass andere Massnahmen angewendet würden: «Bei häuslicher Gewalt will das Opfer häufig nicht, dass der Partner weggesperrt wird. Dann fehlt nämlich oft auch das Einkommen. Die Opfer wünschen, dass die Gewalt endet.» Es gebe bessere Massnahmen als nur das juristische Verfahren, so Fehr. Zum Beispiel die sogenannten Lernprogramme.
Diese Kurse sind ursprünglich für den Justizvollzug entwickelt worden. Doch die Lernprogramme können nicht nur bei Häftlingen eingesetzt werden, sondern würden auch bei Menschen, die der häuslichen Gewalt verdächtigt werden, Wirkung erzielen, ist Jacqueline Fehr überzeugt. Und sie entsprächen dem Wunsch der Opfer, dass gegen die Gewalt vorgegangen werde, aber ohne Gerichtsprozess.
Lernprogramme wirken mehr als Strafen
Internationale Studien hätten gezeigt, dass diese Kurse mehr bewirken als ein Gerichtsurteil. «Das Verständnis der mutmasslichen Täter, weshalb man diese Therapie machen soll, ist häufig vorhanden. Deshalb bin ich der Meinung, dass es mehr bringt als eine Gefängnis- oder eine Geldstrafe», sagt auch Staatsanwältin Corinne Kauf. Sie arbeitet bei der Staatsanwaltschaft IV, die für häusliche Gewalt zuständig ist.
Ausserdem sei der grosse Vorteil dieser Lernprogramme, dass bereits Verdächtige dazu gezwungen werden können. Wenn nach der Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft nicht genügend Beweise vorliegen, um Antrag auf Untersuchungshaft zu stellen, kann die Staatsanwältin dennoch eine solche «Ersatzmassnahme» anordnen. Die tatverdächtige Person muss dieses Lernprogramm in der Folge besuchen.
«Es braucht ein Umdenken»
Bisher habe die Zürcher Staatsanwaltschaft dieses Mittel sehr zurückhaltend eingesetzt. Die Studie der Universität Zürich hält denn auch fest, es bestehe bei den Staatsanwälten «Potential, um präventiv zu arbeiten».
Dieses Potential wollen die Justizdirektorin und die Staatsanwältin Corinne Kauf künftig besser ausschöpfen. Zurzeit arbeitet die Staatsanwaltschaft Richtlinien aus, in welchen Fällen genau diese Lernkurse angeordnet werden sollen, so Corinne Kauf: «Es braucht klare Vorgaben, damit im ganzen Kanton einheitliche Standards gelten, wann dieses Mittel zum Einsatz kommen soll. Andererseits braucht es auch ein Umdenken innerhalb der Staatsanwaltschaft.»