Im ersten Jahr nach Ende des Nato-Kampfeinsatzes in Afghanistan hat die Zahl der toten und verletzten Zivilisten einen neuen Höchststand erreicht. 11'002 Fälle hätten die Vereinten Nationen in 2015 verzeichnet, sagte die Chefin der Menschenrechtsabteilung der UNO-Mission Unama, Danielle Bell, bei der Vorstellung des Zivilopferberichts in Kabul. Darunter seien 3545 Tote und 7457 Verletzte – 4 Prozent mehr als in 2014.
Die meisten Menschen wurden getötet oder verletzt, als sie bei Gefechten der Konfliktparteien zwischen die Fronten gerieten.
«Verstörender Trend» zu Verbrechen an Frauen
Besonders stark stiegen die Opferzahlen unter Frauen und Kindern: unter den Frauen um 37 Prozent auf 1246 Tote und Verletzte, unter den Kindern um 14 Prozent auf 2829. Damit sei fast jedes vierte Opfer ein Kind, sagte Bell.
Sie wies auch auf den «verstörenden Trend» hin, dass die Taliban vermehrt Frauen wegen «moralischer Verbrechen» exekutierten oder auspeitschten – ein Verhalten, das sich auch in 2016 fortsetze.
Viele Morde an Amtsträgern
Einen starken Anstieg sahen die UNO in 2015 auch bei gezielten Morden an Zivilisten, zum Beispiel an Gemeindeführern, Mullahs, Richtern oder Regierungsmitgliedern.
Insgesamt machen die UNO Taliban und andere Extremisten für 6858 tote und verletzte Zivilisten verantwortlich – 62 Prozent aller Opfer. 82 Fälle gehen auf das Konto der Terrormiliz Islamischer Staat.
Konservative Zählung der Opfer
Der Bericht sagt weiterhin, dass 14 Prozent der zivilen Opfer auf afghanische Streitkräfte zurückzuführen seien (ein Anstieg von 28 Prozent) und 2 Prozent auf internationales Militär. Obwohl der Nato-Kampfeinsatz 2014 zu Ende gegangen war, helfen Nato-Streitkräfte durch Luftangriffe und mit Spezialeinheiten am Boden aus. Die Mehrheit der weiteren Opfer war keiner Konfliktpartei zuzuordnen.
Seit Beginn der Zählung ziviler Opfer in 2009 hat die UNO 58'736 Fälle verzeichnet – 21'323 Tote und 37'413 Verletzte. Sie zählt konservativ: Jedes Opfer muss durch drei Quellen bestätigt werden. Das wird zunehmend schwieriger, weil wegen der schlechten Sicherheitslage in den Provinzen viele UNO-Büros geschlossen und Nichtregierungsorganisationen ihre Präsenz verkleinert haben. Experten nehmen an, dass es viel mehr undokumentierte Opfer gibt.