Zum Beispiel Gemma. Die 32-jährige Aktivistin beteiligte sich an diversen Demonstrationen rund um die illegale Abstimmung für die Unabhängigkeit Kataloniens im Jahr 2017.
Einmal wurde sie verhaftet: «Ich war 24 Stunden im Gefängnis, dann klagten sie mich an – wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Teilnahme an einer ungesetzlichen Demonstration.»
Sie machen Dir Angst, und du kannst warten und schauen, was mit deinem Leben passiert.
Zu einem Prozess aber sei es nicht gekommen. Für Gemma ist klar: Das sei Absicht, Teil der staatlichen Repression: «Sie machen Dir Angst, und du kannst warten und schauen, was mit deinem Leben passiert.»
Amnestie für rund 1500 Personen
Das sollte sich nun ändern. Denn das neue Amnestie-Gesetz, das Mitte Juni in Kraft getreten ist, gewährt all jenen Straffreiheit, die im Rahmen von Aktivitäten rund um die illegale Abstimmung für die Unabhängigkeit Kataloniens angeklagt wurden. Insgesamt dürften rund 1500 Personen davon profitieren können.
Noch gibt es allerdings einige Unklarheiten, wie der Fall von Gemma zeigt. Die Aktivistin befürchtet, dass sie durch die Maschen fallen könnte. Denn just an der Demo, an der sie verhaftet wurde, protestierten die Leute in erster Linie für Redefreiheit, nicht direkt für die Unabhängigkeit Kataloniens. Gemma ist gespannt darauf, ob bei ihr die Amnestie tatsächlich greift.
Jetzt werden die Gerichte über alle diese Fälle entscheiden. Vielen katalanischen Aktivistinnen und Aktivisten fehlt allerdings das Vertrauen in die Justiz.
Richterliche Sabotage der Amnestie?
Bei der pro-katalanischen Organisation «Omnium Cultural» kümmert sich Elena Jiménez um rechtliche Fragen. Sie ist teilweise optimistisch: «Wir glauben, dass viele Richterinnen und Richter hier in Katalonien das neue Gesetz ohne Probleme anwenden werden.»
Es gebe in Spanien aber höhere Instanzen, die der politischen Rechten naheständen, und die das Gesetz sabotieren wollten, so Jiménez. «Es macht mir Angst, dass Organisationen von Richterinnen und Richtern dazu aufgerufen haben, das Gesetz nicht anzuwenden. Das sollte in einem demokratischen Land der EU nicht passieren dürfen.»
Die Demokratie ebenfalls in Gefahr sieht Elda Mata Miró-Sans – allerdings genau mit umgekehrten Vorzeichen. Sie steht der anti-separatistischen Organisation «Katalanische Zivilgesellschaft» vor und kritisiert die Skepsis gegenüber den Behörden und der Justiz.
«Wenn sich die Idee verfestigt, dass es Repression sei, wenn man sich für ein Delikt vor Gericht zu verantworten hat, dann haben demokratische Staaten wenig Zukunft», warnt sie. Die Amnestie an sich verstosse gegen den – demokratischen – Grundsatz der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz.
Weg der Unabhängigkeit
Die Aktivistin Gemma hingegen findet, sie und ihre Mitstreiterinnen hätten erst gar nie angeklagt werden dürfen. Unterstützt wird sie dabei von Carol, die mit ihrer kleinen Organisation «Via Independència» Betroffenen unter anderem juristische Hilfe vermittelt.
Carol ist überzeugt, dass ihr jahrelanger Kampf sich gelohnt hat und die meisten Angeklagten tatsächlich straffrei wegkommen werden. Und dann? Die Aktivistin wird sich weiter für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzen. «Ich glaube, dass alle Menschen das Recht auf Selbstbestimmung haben.»
Dafür will sie kämpfen - mit demokratischen Mitteln. «Der Kampf muss immer demokratisch sein und ich denke, das war er auch bisher schon.»