SRF: Was bedeutet der Entscheid der UNO, in Syrien auch ohne Zustimmung des Regimes Assad Hilfe zu leisten, konkret für die betroffenen Menschen?
Petra Ramsauer: Für die Bevölkerung in den von den Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens sind das sehr gute Nachrichten. Entscheidend wird jedoch sein, ob das überhaupt klappt und was in jenen Teilen der Rebellengebiete geschieht, in denen die radikal-extremistische Isis-Miliz einen immer stärker werdenden Einfluss gewinnt.
Können diese Hilfslieferungen mehr sein als ein Tropfen auf den heissen Stein? Immerhin dürften sie nur einen Bruchteil der Bedürftigen erreichen...
Die Lage in den Bürgerkriegsgebieten ist derart verheerend, dass sie als die derzeit schlimmste humanitäre Krise der Welt gilt, wie die UNO-Botschafterin der USA kürzlich sagte. Von den geschätzten zehn Millionen Syrern, die dringend Hilfe benötigen, lebt rund die Hälfte in Gebieten, die vom Regime kontrolliert werden. Dort ist der Zugang zumindest theoretisch möglich. Was in den bisher unzugänglichen Rebellengieten geschieht, werden wir sehen. In diesen Regionen sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs laut Angaben der EU 200'000 Menschen an fehlender medizinischer Versorgung gestorben – das sind deutlich mehr als die 170'000 Syrer, die in den Kampfhandlungen umkamen. Egal also, welche Hilfe sie erhalten – und wenn es auch nur kleine Hilfen sind: Sie bedeutet eine dramatische Verbesserung der Situation der betroffenen Menschen.
Fällt Aleppo, dürfte dies das Ende des syrischen Aufstands sein.
Die syrische Regierung hat angekündigt, dass sie Hilfstransporte als Angriffe ansehen werde. Wie gross ist die Gefahr, dass Hilfskonvois von der syrischen Armee beschossen werden?
Das ist sehr schwer einzuschätzen. Es hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, hinter den Kulissen mit dem Assad-Regime weiterzuverhandeln. Ich war vor wenigen Tagen illegal in Syrien und bin die Strecke von der türkischen Grenze nach Aleppo mit dem Auto gefahren. Es war die gefährlichste Reise, die ich in den 15 Jahren, in denen ich nun aus Krisengebieten berichte, gemacht habe. Ich schwebte in ständiger Lebensgefahr. Ständig fliegt die Armee Luftangriffe, die Regierungstruppen sind teilweise nur wenige Meter neben der Strasse positioniert und man kann die Scharfschützen mit blossem Auge erkennen. Der UNO-Sicherheitsrat wird sich deshalb mit der Frage eines Flugverbots auseinandersetzen müssen, auch wenn die Chancen, dass ein solches ohne Veto durchkommt, sehr klein sind. Oder aber man einigt sich irgendwie mit Assad. Sonst ist jeder Mensch, der sich auf dieser Strasse bewegt, in akuter Lebensgefahr.
Warum stemmt sich Assad denn derart gegen Hilfslieferungen?
Ich bin sehr zurückhaltend, Sätze zu formulieren, welche wie Propaganda einer Bürgerkriegspartei tönen. Doch wenn man sich die Lage in Syrien ansieht, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass das Assad-Regime eine Aushungerungstaktik betreibt. So wurde Homs, die eigentliche Hochburg des Aufstands in Zentralsyrien, im Mai durch einen Belagerungsring der Armee abgeriegelt. Es kam keine Hilfe, keine Nahrungsmittellieferung für die Bevölkerung mehr durch. Als Folge davon gaben die Rebellen auf, Homs war geschlagen. Jetzt bahnt sich ein ähnliches Szenario für die noch wichtigere Rebellen-Hochburg Aleppo an. So zynisch das tönt: Aushungerung und Verweigerung von Hilfe ist Teil der Strategie des Regimes, um diesen Konflikt zu gewinnen.
Sie selber waren in Aleppo. Wie haben Sie die Lage dort erlebt?
Es ist wahnsinnig schwierig, dies zu beschreiben, weil die Lage in Aleppo derart apokalyptisch ist. Die Stadt ist zu einem Drittel völlig zerstört. Es gibt kaum noch funktionierende Spitäler, Amputationen müssen ohne gute Schmerzmittel durchgeführt werden, es gibt kein sauberes Wasser und deshalb Durchfallerkrankungen epidemischen Aussmasses. Auch gibt es keine Lebensmittellieferungen. Allein in den letzten zwei Wochen sollen von der syrischen Luftwaffe mehr als 270 sogenannte Fassbomben auf die Stadt abgeworfen worden sein. Diese Bomben fallen ohne Vorwarnung vom Himmel und töten vor allem Zivilisten – Frauen und Kinder. Die Lage in der Stadt ist unerträglich, ihr Fall steht unmittelbar bevor und die Menschen haben sehr grosse Angst davor, was danach geschieht. Fällt Aleppo, dürfte dies das Ende des syrischen Aufstands sein.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.