Herr Krause, wie haben Sie reagiert, als Sie heute Morgen von den Anschlägen in Brüssel hörten?
Joachim Krause: Ich hatte damit gerechnet, dass nach der Festnahme von Salah Abdeslam etwas passieren würde. Wenn man sieht, was die belgische Polizei letzte Woche überraschenderweise an Waffen gefunden hat, wundert man sich nicht, dass sowas passiert. Das war ein klares Zeichen, dass diese Gruppe von Leuten, vor nichts zurückschreckt. Wie gross diese Gruppe genau ist, weiss man nicht.
Haben die belgischen Behörden nicht seit Monaten davon gesprochen, dass solche Anschläge ausgeführt werden könnten?
Ja. Man hätte mehr Sicherheitsmassnahmen treffen können. In den Flughafen von Brüssel kann man einfach mit Gepäckstücken reinmarschieren. Das haben die Attentäter offenbar getan. Sie sind mit Bomben gefüllten Gepäckstücken gekommen und haben sie zur Explosion gebracht. Das hätte man mit Eingangskontrollen, wie man sie in anderen Städten auch hat, verhindern können. U-Bahnen sind noch schwieriger zu schützen als Flughäfen. Aber man scheint nicht besonders auf Anschläge vorbereitet gewesen zu sein. Mich überrascht, dass in einer Zeit, wo jeder sagt, es könnte was passieren, keine gesonderten Massnahmen an einem so empfindlichen Platz wie der Abflughalle eines Flughafens vorgenommen worden sind.
Aber man scheint nicht besonders auf Anschläge vorbereitet gewesen zu sein.
Ist das ein belgisches Problem?
Die Terrorgefahr ist nicht nur ein belgisches Problem. Man wird sich überlegen müssen, ob wir nicht ähnliche Sicherheitsmassnahmen treffen müssen, wie wir sie am Flughafen in Tel Aviv haben. Dort gelangt man mit dem Auto gar nicht auf das Flughafengelände, ohne nicht vorher kontrolliert zu werden und es gibt auch Eingangskontrollen beim Gebäude.
Warum hat man das nicht eingeführt?
In den letzten Wochen gab es grosse Kritik an den belgischen Behörden, die immer die gleiche war. Sie seien zu bürokratisch, keiner sei richtig zuständig für irgendetwas.
Doch in einer freien Gesellschaft kann überall ein Anschlag ausgeführt werden, wie das Beispiel Paris mit dem Terrorakt im Club Bataclan gezeigt hat?
Paris hat allerdings auch gezeigt, dass der geplante Anschlag auf das Fussballstadion nicht so gelungen ist, wie sich das die Attentäter vorgestellt hatten, weil eben gute Sicherheitsmassnahmen vorgekehrt waren. Das macht schon einen Unterschied. Totale Sicherheit gibt es nicht. Doch die Sicherheitsmassnahmen haben einen abschreckenden Effekt auf die Täter.
Haben die belgischen Behörden besondere Schwierigkeiten mit der Sicherheit?
In den vergangenen Wochen wurden in Molenbeek immer wieder Razzien gemacht, und entweder fand man gar nichts oder man fand überraschenderweise Dinge, die man gar nicht erwartet hatte. Man fand Wohnungen, die vollgestopft waren mit Waffen, bei Leuten, die man gar nicht unter Verdacht hatte. Das hat mich ein bisschen verunsichert, man bekam das Gefühl, die belgischen Behörden tappen regelrecht im Dunklen. Sie haben kein klares Bild von der Lage in Molenbeek.
Warum lässt man denn überhaupt ein Nest von Gewalttätern entstehen?
Ja, wenn man genau wüsste, wo dieses Nest sich befindet, würde man es nicht zulassen. Aber das war das grosse Problem der belgischen Behörden. Man müsste wissen, wer mit wem kommuniziert, wer in der Gruppe welche Funktion einnimmt. Den belgischen Behörden ist es schwergefallen, Erkenntnisse zu gewinnen, die ausgereicht haben, um Operationen durchzuführen. Auch die Festnahme von Abdeslam war ja mehr oder weniger ein Zufallsergebnis.
Man bekam das Gefühl, die belgischen Behörden tappen regelrecht im Dunklen.
Was gibt es denn für Möglichkeiten?
Man kann überwachen, ob Leute, die man schon auf Listen hat, überhaupt nach Belgien einreisen oder nicht. Das scheint nicht besonders gut geregelt zu sein, und das gilt inzwischen für den gesamten Schengenraum. Da gibt es deutliche Defizite. Man muss auch Informanten vor Ort haben. Das müssen nicht unbedingt V-Leute sein. Die Polizei braucht Leute im Viertel, die sie darüber informiert, wenn sich irgendwo was abzeichnet, wenn sich Leute beispielsweise konspirativ treffen, wenn Fahrzeuge vorfahren, die normalerweise nicht da sind. Es sind viele Indikatoren, die man sammeln kann, wenn man mit Intelligenz an so was rangeht. Ich habe das Gefühl, das ist in Molenbeek nicht der Fall gewesen. Vielleicht tue ich der belgischen Polizei jedoch unrecht.
Das Tagesgespräch führte Susanne Brunner.