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Bargeldreform in Indien Das grosse Anstehen beim Geldwechseln

Seit der unangekündigten Bargeldreform in Indien werden die Banken des Landes belagert: 1,3 Milliarden Inder sind gezwungen, ihr Bargeld in neue Noten umzutauschen – oder auf ein Bankkonto einzuzahlen. Doch die Inder bleiben ruhig – und erfinden ihre eigenen Ausweichstrategien.

Thomas Gutersohn

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Thomas Gutersohn hat in Genf Internationale Beziehungen studiert und arbeitet seit 2008 bei Radio SRF. Ab 2012 berichtete er als Korrespondent aus der Westschweiz. Seit 2016 lebt er im indischen Mumbai und berichtet für SRF aus Indien und Südasien.

SRF News: Welche Auswirkungen hat die Bargeldreform im indischen Alltag?

Thomas Gutersohn: Am augenscheinlichsten sind die langen Warteschlangen vor den Banken. Noch bis Ende Jahr können dort die nun ungültigen 500er- und 1000er-Noten gegen neue 500er- oder 2000er-Noten getauscht werden. Das Ganze läuft natürlich nicht ganz reibungslos ab. So ist etwa die 2000er-Note etwas grösser als alle anderen Noten. Deshalb passt sie nicht in die Bankomaten. Nun müssen alle Geldautomaten im Land umgebaut und angepasst werden. Bis die funktionieren gibt es nur am Schalter Bargeld. Hinzu kommt, dass bei kleineren Einkäufen auf dem Markt auf eine 2000er-Note das Rückgeld kaum herausgegeben werden kann, denn dazu fehlt es oft an genügend 100-Rupien-Scheinen.

Wie reagieren die Menschen in Indien auf die Reform und ihre Startschwierigkeiten?

Erstaunlich gelassen. Als ich selber auch zur Bank ging, um Geld zu wechseln, kam ich mit den Wartenden ins Gespräch. Viele sagten, dass es sie zwar nerve und sie nicht verstünden, wieso alle Inder durch diese Aktion bestraft werden, die von der Regierung ja als Mittel gegen die Korruption und das Schwarzgeld verordnet wurde. Trotzdem verläuft das Ganze recht friedlich ab: Teilweise musste man fünf Stunden anstehen, um umgerechnet 20 oder 30 Franken zu wechseln. Nun könnte man denken, dass es dabei zu Tumulten kam – doch diese blieben weitgehend aus. Die Tatsache, dass jeder, zumindest auf den ersten Blick, gleich betroffen ist, macht es offenbar erträglicher. Trotzdem glauben viele Inder nicht, dass wegen der Bargeldreform die wirklich grossen Steuerhinterzieher zur Strecke gebracht werden.

Die wirklich grossen Vermögen lagern nicht in indischen Kellern, sondern auf ausländischen Bankkonten.

Sind tatsächlich alle 1,3 Milliarden Inderinnen und Inder von der Reform in gleichem Masse betroffen?

Nein, natürlich nicht. Die Inder sind Weltmeister darin, sich mit solchen Situationen zu arrangieren und zu improvisieren – denn aus solchen Situationen besteht der indische Alltag. Viele haben im Umgang mit dem Bargeldproblem kreative Ideen entwickelt. So sind etwa junge Arbeitslose dazu angestellt worden, um für andere in der Schlange zu warten. Sie erhalten dafür vielleicht 400 Rupien, wenn sie 4000 für jemanden wechseln können. Neuerdings gibt es auch eine App, welche anzeigen soll, welcher Geldautomat bereits umgebaut wurde und wann er aufgefüllt wird. Die kreativste Idee, die ich bislang angetroffen habe, hatte mein Gemüsehändler: Ich habe an seinem Stand für ihn Online Gesprächsguthaben für sein Handy gekauft und im gleichen Gegenwert Bananen, Äpfel und Orangen erhalten. In Indien gibt es 1,3 Milliarden Wege, mit dem Problem umzugehen; ebenso viele, wie es Inder gibt.

Völlig unerwartete Geldreform

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Am 9. November erklärte die indische Regierung alle Geldscheine im Wert von mehr für 100 Rupien (knapp 1.50 Franken) als ungültig. Die alten Scheine können bei Banken in neue 500 und 2000er-Scheine umgetauscht, grössere Beträge müssen auf ein Bankkonto einbezahlt werden. Der Bar-Umtausch ist pro Tag auf 2000 Rupien beschränkt.

In den Städten scheinen sich die Menschen arrangiert zu haben. Wie stark ist die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten betroffen?

Tatsächlich sind es vor allem die Armen, die unter der Bargeldreform leiden. Sie können bei den Banken häufig kein Geld wechseln, etwa weil sie keine Ausweise bei sich tragen. Auch haben sie ihr Geld nicht auf einem Bankkonto, sondern unter dem Kopfkissen versteckt oder in der Matratze eingenäht. Für sie gibt es nur wenige Möglichkeiten, ihr Vermögen in neue Scheine umzutauschen. Eine davon ist der Schwarzmarkt. Doch dort werden für neue 300 Rupien 500 alte genommen. Da macht ein Umtauschwilliger grosse Verluste. Eine andere Möglichkeit ist, jemandem in der Warteschlange vor der Bank das Geld in die Hand zu drücken, damit es dieser umtauscht. Doch auch hier ist das Risiko gross, denn das Ganze passiert ja ohne Beleg und fusst zu hundert Prozent auf reinem Vertrauen. Auf der anderen Seite bezahlen viele private Arbeitgeber ihren Köchen, Hausangestellten oder Fahrern jetzt ganze Jahresgehälter in alten Noten aus. Reiche können so das Problem des Schlangenstehens auf die Angestellten abwälzen. Zudem werden sie so ihr bisher gehortetes Schwarzgeld los – und schieben das Problem auf die Armen ab.

Könnte es also sein, dass die ganze Bargeldreform gegen Steuerhinterziehung und Korruption wirkungslos bleibt?

Für ein endgültiges Urteil ist es noch etwas früh. Allerdings werden die wirtschaftlichen Folgen wohl stärker zu spüren sein, als geglaubt – allein schon, weil 1,3 Milliarden Inder Stunden in Warteschlagen vor Banken verbringen und wegen fehlendem Bargeld weniger einkaufen. Die Banken ihrerseits werden – dank der vermehrten Einzahlungen der Inder auf ein Konto – künftig mehr Geld für Kredite zur Verfügung haben. Auch wird dadurch das steuerlich deklarierte Vermögen im Land deutlich angehoben. Ich bezweifle allerdings stark, dass die wirklich grossen Fische durch die Reform ins Netz gehen. Denn die wirklich grossen Vermögen lagern auch in Indien nicht in irgendwelchen Kellern, sondern auf ausländischen Bankkonten. Und dort hat die indische Bargeldreform keine Auswirkungen.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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