In der Ostukraine haben die prorussischen Separatisten Wahlen durchgeführt – trotz Proteste der ukrainischen Regierung, der EU und mehrerer westlicher Staaten. Damit wollen sie die Grundlage für die Unabhängigkeit von Kiew schaffen.
SRF-Korrespondent Christoph Franzen war in den letzten Tagen wie auch am Wahltag selber in Donezk und Umgebung. Hier seine Eindrücke vom umstrittenen Urnengang in der Konfliktregion Donbass.
SRF: Ist überhaupt jemand in der Region, um zu wählen?
Christof Franzen: Ja, es sind noch hunderttausende, ich würde sogar sagen Millionen von Menschen hier. Viele haben die Region verlassen, das stimmt. Aber seit dem Sommer sind auch wieder viele zurückgekehrt. Hier in der Millionenstadt Donezk sagt man, die Hälfte der Menschen sei nach wie vor in der Stadt, also rund 500‘000.
Wie ist der heutige Wahltag verlaufen?
Bis jetzt ruhig. Man hat sich gestern und heute Morgen noch Sorgen gemacht. Es gab Warnungen vom ukrainischen Geheimdienst – aber auch von den Separatisten –, dass es zu Provokationen kommen könnte. Dass es Terroranschläge gibt, welche dann der anderen Seite in die Schuhe geschoben würden. Ich ging heute Morgen noch mit einer Schutzweste in die Wahllokale. Als ich die Leute fragte, ob sie sich denn keine Sorgen machen würden, sagten sie: «Eigentlich schon. Aber wir haben uns an so viel gewöhnt, dass wir trotzdem an die Wahlen gehen.»
Wer ging denn primär wählen?
Gerade am Morgen waren es die alten Leute. Diejenigen, welche sich noch die Wahlen aus der Sowjetzeit gewohnt sind. Die geniessen das auch ein bisschen. Es gab billiges Gemüse und Obst, zudem günstiges Gebäck, Kaffee und Tee. Zum Teil fanden Konzerte statt. Tagsüber kamen dann auch Familien mit Kindern und einige wenige junge Leute. Aber die Alten haben hier ganz klar dominiert.
Standen die Menschen unter Druck, wählen gehen zu müssen?
Das ist wohl ganz unterschiedlich. In Dörfern sagten mir Leute: «Ja, es hat Druckversuche gegeben.» Es gingen zum Beispiel bewaffnete Separatisten in Fabriken und forderten die Leute auf, wählen zu gehen. Auch Menschen, die sagten, sie wollten eigentlich nicht wählen gehen, gingen heute doch zur Urne – aus Angst. Andere hat man unter Druck gesetzt, indem man sagte, wer auch in Zukunft Sozialhilfe oder Lebensmittel erhalten wolle, der müsse jetzt wählen gehen. Aber: Es gingen auch viele aus der Überzeugung heraus wählen, dass sie wieder Ruhe und Frieden oder Normalität wollen. In der heutigen Wahl haben sie einen Schritt in diese Richtung gesehen.
Können nur die Separatisten diesen Frieden bringen? Oder gibt es in dieser Region auch Gegner der Separatisten?
Die grössten Gegner und Zweifler sind wohl weggezogen. Zum Beispiel Kleinunternehmer, viele Professoren oder junge Leute, die ein Studium machen. Die sind alle weg. Es gibt aber auch solche, die nicht weg können. Weil die finanziellen Mittel fehlen. Weil sie bei ihren Familien bleiben wollen. Dann gibt es aber auch diejenigen, die überzeugt sind, ohne Ukraine die bessere Zukunft zu haben. Die von einem unabhängigen Donbass träumen.
Für die UNO, die ukrainische Regierung, die OSZE sind diese Wahlen nicht gültig. Was bedeutet das für den Friedensprozess?
Formal und auf den ersten Blick nicht viel. Denn die bisherigen Vertreter der prorussischen Separatisten sind die gleichen, welche jetzt als Republik-Chefs von Lugansk und Donezk gewählt werden. Es ist aber gleichwohl ein grosser Rückschritt. Vertrauen ist verloren gegangen. Die Wahlen zeigen auch, dass die Separatisten den Friedensplan von Poroschenko nicht mehr akzeptieren – zumindest nicht mehr voll. Und: Die Gefahr besteht, dass die Kämpfe früher oder später wieder losgehen könnten.
Das Gespräch führte Simone Fatzer