Die konservative GERB-Partei von Ex-Ministerpräsident Boiko Borissow hat ersten Teilergebnissen zufolge die Parlamentswahl in Bulgarien am Sonntag gewonnen, steht aber vor einer schwierigen Regierungsbildung. Die Konservativen kommen nach Auszählung von rund 13 Prozent der Stimmen auf rund 33 Prozent und verfehlen damit die absolute Mehrheit im Parlament deutlich. Borissow war bereits von 2009 bis 2013 Ministerpräsident gewesen.
Zweitstärkste Kraft werden den Teilergebnissen zufolge die Sozialisten mit rund 16 Prozent. Ins Parlament würden erstmals bis zu acht Parteien einziehen. Unter ihnen ist die zuletzt mitregierende Türkenpartei (DPS) sowie zwei extrem nationalistische Formationen.
«Schwarzes Szenario»: Neuwahlen
«Bei dieser Konfiguration sehe ich nicht, wie eine Regierung zustande kommen soll», sagte Borissow. Der Wahlsieger rief die miteinander zerstrittenen Parteien zum Dialog auf: «Es mögen alle darüber nachdenken, was zwei weitere Monate mit einem Übergangskabinett bedeuten würden», sagte Borissow. Er selbst sei bereit, «alles zu tun, um das schwarze Szenario» mit einer weiteren Neuwahl im Dezember zu vermeiden.
Auch der Chef der voraussichtlich drittplatzierten Türkenpartei DPS, Lütwi Mestan, rief die anderen Parteien zur «politischen Verständigung« auf. «Das Land braucht Beruhigung und stabile Steuerung der Reformen», sagte Mestan. Doch GERB-Chef Borissow schloss bereits die DPS als möglichen Koalitionspartner aus. Die bislang regierende Sozialistische Partei (BSP) erklärte, sie wolle unter diesen Umständen in die Opposition gehen.
Die politische Führungselite des Landes dürfe den Kopf jetzt nicht in den Sand stecken, meint SRF-Auslandredaktor Christian Wüthrich: «Wenn es keine politische Weisheit gibt, stehen Neuwahlen an, das Resultat wird das gleiche sein wie jetzt und dann scheitert der bulgarische Staat.»
Es droht «eine sehr grosse Krise»
Borissow verwies bereits kurz nach Bekanntwerden der ersten Wahlresultate nochmals auf die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage im Lande. Es müssten unter anderem die Probleme mit der angeschlagenen staatlichen Elektrizitätsgesellschaft NEK sowie mit dem wachsenden Haushaltsdefizit und dem kriselnden Gesundheitswesen gelöst werden.
«Sollten wir jetzt keine Regierung haben, würden wir im Januar in eine sehr grosse Krise versinken», warnte auch der Wirtschaftsexperte Koljo Paramow im staatlichen Radio.
Das wegen eines Parteienstreits um die Aufstockung des Staatsetats 2014 gelähmte bulgarische Parlament war im August vorzeitig aufgelöst worden. Nach dem Rücktritt der sozialistisch dominierten Regierung im Juli hatten alle Parteien auf die Bildung eines neuen Kabinetts verzichtet.
Streit um Gasleitungsprojekt
Die neue Regierung in Sofia dürfte auch eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Gasleitungsprojekts South Stream mit Russland spielen. Die Partei GERB hält ebenso wie die Sozialisten daran fest. Doch die Konservativen wollen die bulgarische Pipeline-Strecke nur dann bauen lassen, wenn alle EU-Normen umgesetzt werden.
Die Bauvorbereitungen für den bulgarischen South-Stream-Abschnitt sind seit Juni auf Eis gelegt. Das einstige Ostblockland hängt fast acht Jahre nach dem EU-Beitritt bei der Gasversorgung noch immer fast komplett von Russland ab.
«Wir dürfen keine Zeit verlieren»
Die zweite vorgezogene Parlamentswahl binnen 17 Monaten war von Schlüsselbedeutung für die wahlmüden Bulgaren. «Bulgarien braucht ein funktionierendes Parlament und eine Regierung – wir dürfen keine Zeit verlieren», betonte Staatspräsident Rossen Plewneliew nach der Stimmabgabe in Sofia.
Allerdings war die Wahlbeteiligung im Tagesverlauf sehr gering. Nur knapp 23 Prozent der 6,9 Millionen Wahlberechtigten ging zu den Wahlurnen, wie die staatliche Wahlkommission (ZIK) in Sofia mitteilte.
Eine Wählerstimme für 25 Euro
Ebenso wie bei vergangenen Wahlen wurde auch diese Abstimmung von Hinweisen auf Stimmenkauf überschattet. Ärmere Bulgaren veräusserten nach einem Bericht des Staatsradios ihre Stimme für 50 Lewa (rund 30 Franken).
An der Wahl beteiligten sich auch Zehntausende Türken mit doppelter Staatsangehörigkeit, die vor der Wende von den bulgarischen Kommunisten in die Türkei vertrieben worden waren. Sie gaben ihre Stimme an ihren einstigen Wohnorten oder in der Türkei ab.