376 Frauen und Männer des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (KP) tagen zur Zeit beim Parteikongress in Peking. Es ist das dritte Plenum seit November 2012, seit Xi Jinping die Geschicke des Landes lenkt.
Seiner Amtszeit hat er ein Motto verliehen: «Der grösste chinesische Traum ist die grosse Wiedergeburt der chinesischen Nation. Bis in die Mitte dieses Jahrhunderts soll eine reiche, starke, demokratische, zivilisierte, moderne, sozialistische und harmonische Gesellschaft entstehen.» Wie weit ist China ein Jahr nach Xi Jinpings Amtsantritt davon entfernt? SRF-Korrespondentin Barbara Lüthi analysiert die Lage der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt.
Die Wirtschaft:
Chinas Wirtschaftswachstum liegt derzeit bei 7,7 Prozent. Die Regierung hatte 7,5 Prozent vorgegeben. Das Wachstum übertrifft also die Forderung, liegt aber auf dem niedrigsten Wert seit 1999. Schon im Vorjahr lag das Wachstum bei 7,7 Prozent. Seit 2010 geht das Wachstum stetig zurück. Die chinesische Regierung setzte aber bislang voll auf den Faktor Wachstum.
Mit dem derzeitigen Modell werde China deshalb weiter nicht nachhaltig wachsen können, sagt SRF-Korrespondentin Barbara Lüthi. «Staatspräsident Xi Jinping weiss das, aber Wirtschaftsreformen bedeuten, dass die Kommunistische Partei (KP) Macht abgeben muss. Damit tut sie sich schwer.» Für die China-Expertin ist klar: «Xi Jinping muss das Wirtschaftsmodell umstrukturieren. Weg von staatlichen Infrastrukturinvestitionen und Exportabhängigkeit, hin zu mehr Eigeninnovation und heimischem Konsum».
Die Staatsbetriebe produzierten höchst unprofitabel, sagt Lüthi. Ein nachhaltiges Wachstum sei deshalb nur möglich, wenn privates Kapital in einen freien Wettbewerb treten kann.
Das Finanzsystem:
«Kredite sind meist den staatlichen Betrieben vorbehalten, aber Privatfirmen müssten in einen fairen Wettbewerb treten können», meint Barbara Lüthi. Momentan hätten diese nicht die gleichen Chancen wie Staatskonzerne. Eine Dynamik in der Wirtschaft sei deshalb kaum möglich, denn nur ein freier Wettbewerb ermögliche nachhaltiges Wachstum. Die Lösung läge demnach in einer Flexibilisierung des Kreditsystems und der Öffnung des Marktes für ausländische Wettbewerbe, sagt die SRF-Korrespondentin.
Die Korruption
China befindet sich im Korruptionsindex des Jahres 2012 von Transparency International auf dem 80. Platz, hinter Tunesien und Sri Lanka. Xi Jinping ist sich des Problems bewusst. Weder «Fliegen noch Tiger» wolle er schonen. Heisst: Die Bekämpfung der Korruption wird auf allen Ebenen durchgeführt. «Absolut notwendig», meint Barbara Lüthi, «denn die Korruption geht durch alle Schichten». Fünf Prozent des BIP sind in die Schattenwirtschaft involviert und müssen gewaschen werden. Die Regierung hat aktuell deshalb eine landesweite Buchprüfung angeordnet.
Die Umweltverschmutzung:
China leidet unter massiven Umweltproblemen. «70 Prozent der Flüsse sind verschmutzt, 160'000 Menschen sterben jährlich an den Folgen der Umweltverschmutzung», sagt Lüthi. Der Zentralregierung sei absolut klar, dass sie etwas gegen die Umweltverschmutzung unternehmen muss.
Allein die Umsetzung neuer Massnahmen sei schwierig, so Lüthi. Denn: In den Provinzen gehe es den Lokalregierungen vornehmlich um Wachstum, sie stehen untereinander in einem Wettbewerb. Da bleibe der Umweltschutz zwangsläufig auf der Strecke. Immerhin seien aber erste Schritte eingeleitet. «Die Regierung hat angekündigt, dass in den nächsten fünf Jahren der Schadstoffausstoss von Autos und Fabriken signifikant reduziert werden soll.»
Die Meinungsfreiheit
Xi Jinping hält an der Linie seiner Vorgänger fest. «Er ist der Tradition der Partei verankert. Sein Vater war ein Kampfgefährte Mao Zedongs.» Kritische Stimmen sind auch ihm nicht genehm. Die Zügel sind in Sachen Meinungsfreiheit entsprechend straff angezogen. Lüthi verweist auf Verhaftungen von Regimekritikern in den letzten Monaten und neue, strikte Gesetze zur Internetzensur. «Liberale Blogger werden eingeschüchtert. Zudem müssen alle Journalisten des Landes zu Marxismus-Kursen antreten. Nur wer die Prüfung schafft, kriegt eine neue Pressekarte.»
Ausblick
Zur Zeit tagt das Zentralkomitee der KP in Peking. Lüthi erwartet die Ankündigung von Wirtschaftsreformen als Resultat der Tagung. Denn Xi Jinping wolle einen Zerfall wie den der Sowjetunion in jedem Fall verhindern, sagt die Korrespondentin. Sie glaube aber nicht an eine Durchführung auf einen Schlag. «Chinas Machthaber stecken in einem Dilemma: Reformieren sie das Wirtschaftssystem zu langsam, wird das Wachstum abflauen. Dann könnten soziale Unruhen drohen. Reformieren sie das System zu schnell, ist die Macht der KP bedroht.» Xi Jinping wisse aber, dass er etwas machen muss, denn in China wächst der gesellschaftliche Sprengstoff: die soziale Ungleichheit.