Die Expertenkommission zur Untersuchung des Corona-Krisenmanagements in Ischgl hat ihren 287 Seiten starken Bericht präsentiert. Darin kritisiert sie die lokalen Behörden im Bezirk Landeck, den Bürgermeister, das Land Tirol, sowie den Bund. Und ganz explizit auch Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Bericht der unabhängigen Expertenkommission
Die Liste der Fehler und Fehleinschätzungen ist lang. Hier nur einige Beispiele: Bars blieben trotz zahlreicher Infektionen geöffnet. Die Schliessung der Skigebiete erfolgte zu spät. Die Abreise infizierter Personen erfolgte chaotisch. Die Regierung hatte zwar ihren Pandemieplan bereits überarbeitet, ihn aber aufgrund der «politischen Situation» nicht veröffentlicht.
Das Epidemiegesetz aus dem Jahr 1950 wurde nie an die Gegebenheiten der heutigen Mobilität angepasst. Und schliesslich war Bundeskanzler Kurz gar nicht rechtlich befugt gewesen, die Quarantäne über Ischgl auszurufen. Das hätte die Bezirkshauptmannschaft erledigen müssen.
Sammelklage von 6000 Tirol-Urlaubern
Die Folgen dieser und weiterer Fehler sind bekannt: Schätzungsweise 11'000 Menschen haben sich von Ischgl ausgehend mit dem Coronavirus angesteckt. Mindestens 32 (Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Artikels war hier fälschlicherweise von 23 Toten die Rede. Wir entschuldigen uns für den Fehler.) von ihnen sind gestorben. 6000 beteiligen sich an Sammelklagen gegen Ischgl, darunter 156 Schweizerinnen und Schweizer.
Das Ziel der sechsköpfigen Expertenkommission, der mit Krisenmanager Bruno Hersche auch ein Schweizer angehört, war es nicht, Schuldige zu identifizieren. Vielmehr sollte festgesellt werden, was im Frühling in Ischgl falsch lief – und es sollten daraus Lehren für die Zukunft gezogen werden.
Wir haben Bundeskanzler Kurz vorgeschlagen einen Runden Tisch einzuberufen und dort einen aussergerichtlichen Vergleich zu finden.
Trotzdem: Für Peter Kolba, den Wiener Anwalt, der rund 6000 Sammelkläger vertritt, ist klar, dass jetzt Schadenersatz fällig ist: «Wenn solche Fehler gemacht werden, dann muss der Bund dafür einstehen.» Doch die jahrelangen Prozesse möchte er vermeiden. «Wir haben Bundeskanzler Kurz vorgeschlagen einen Runden Tisch einzuberufen und dort einen aussergerichtlichen Vergleich zu finden.»
Doch ein solcher Vergleich könnte sehr teuer werden angesichts der Anzahl der Geschädigten. Und ein solcher Vergleich könnte auch weitere Schadenersatzklagen nach sich ziehen.