Als der Markt brennt, ergreift Müller Arbab Buschara die Flucht. Die Mühle, sein wertvollster Besitz, muss er den Flammen überlassen. Das war vor sechs Monaten.
Nun ist Buschara wieder zurück und kniet vor den Überresten der gusseisernen Mühle. Er versucht, Motor und Mahlwerk wieder in Gang zu kriegen. «Es ist eine Katastrophe, sie haben alles niedergebrannt. Doch ich habe überlebt.»
Der Markt brennt komplett nieder
Im April 2021 wird der Dschebel-Markt von «Arabern» angegriffen, wie die Bewohner in der Stadt al-Dschunaina erzählen. Auslöser soll ein Streit gewesen sein, dem folgt ein Mord. Darauf eskaliert die Lage.
Die Angreifer plündern, brandschatzen und töten mehrere Tage lang. Marktleute und Anwohner bringen sich auf staatlichem Grund, in Schulen und Ministerien in Sicherheit. Dutzende werden getötet, Tausende müssen flüchten.
Der Brand des Marktes ist ein Beispiel für die Gewalt in Darfur. Sie hat erstmals seit Jahren wieder zugenommen. Die Gewalt-Eskalation könnte mit dem Abzug der Blauhelmtruppen von UNO und Afrikanischer Union zusammenhängen. Seither sollen staatliche Sicherheitskräfte für Ordnung sorgen in Darfur. Doch viele Menschen in Darfur trauen den Uniformierten nicht. Sie fühlen sich nicht geschützt.
«Mit den Blauhelmen war die Situation besser, heute getraue ich mich kaum mehr auf mein Feld», erzählt Halima Arbab. Die ältere Frau sitzt im Schatten auf ihrem Grundstück nebenan – es wurde beim Angriff auf den Markt fast komplett zerstört.
Trotz Friedensabkommen ist die Gewalt in Darfur allgegenwärtig. Die Ereignisse um den Dschebel-Markt zeigen: Es braucht nur einen Funken und der Konflikt flammt wieder auf. Familie Arbab hatte Glück im Unglück. «Unser Nachbar wurde getötet, die Witwe hat soeben sein Kind geboren.»
Die Familie kam temporär in einem Zeltlager bei einer Schule unter. Es war das zweite Mal, dass Halima Arbab flüchten musste. Im Jahr 2003, als der Bürgerkrieg im Westen Sudans ausbrach, verliess sie ihr Dorf und suchte Schutz in al-Dschunaina.
Die Geschichte wiederholt sich: «Auch damals brannten sie unsere Häuser nieder, stahlen das Vieh. Darum flüchteten wir in die sicherere Stadt.»
«Araber gegen Afrikaner» – ein komplexer Konflikt
Der Darfur-Krieg beginnt 2003, als das Regime von Sudans Diktator Omar al-Baschir einen Aufstand von lokalen Rebellen blutig niederschlagen lässt. Das tut der Staat mit Hilfe arabischer Reitermilizen: den Dschandschawid. Daraus entsteht ein brutaler Bürgerkrieg. Gewisse sprechen von einem Genozid.
«Araber gegen Afrikaner», nennen es die Menschen in Darfur. Nomadische Viehzüchter gegen sesshafte Bauern, staatsnahe Milizen gegen lokale Rebellen. Doch der Konflikt ist vielschichtig: Nicht alle ethnischen Araber sind Viehzüchter, nicht alle Bauern sind «Afrikaner», und die meisten Menschen möchten ganz einfach in Frieden leben.
Im Darfur-Krieg wurden hunderttausende Menschen getötet und Millionen vertrieben. Erst in den letzten Jahren hat sich der Konflikt etwas beruhigt. Der Sturz von Sudans Diktator Baschir 2019 ermöglichte Friedensverhandlungen. Im letzten Jahr schloss der Staat mit mehreren Rebellengruppen Friedensabkommen.
Doch in Darfur herrscht kein Frieden. Halima Arbab erzählt, sie könne nicht zurück in ihr Dorf: «Wenn wir auf unser Feld gehen, kommen die Araber, sie wollen uns töten.» Im Streit geht es unter anderem um die Landnutzung, um die knappen Ressourcen.
Wer ist Täter, wer ist Opfer?
Beim Dschebel-Markt sind die Opfer- und Täterrollen klar verteilt: Die Araber greifen die Afrikaner an. Doch schon einige staubige Strassen weiter tönt es ganz anders. «Die Masalit sind die Hauptschuldigen an diesem Konflikt», sagt Scheich Suleiman Gassary. Die Masalit sind eine der schwarzen, afrikanischen Ethnien von Darfur.
Scheich Gassary ist ein smarter junger Mann. Er erzählt vom April, wie Masalit im Quartier der Araber 25 Menschen getötet hätten. Es sei eine organisierte Attacke von Rebellen gewesen, um die Araber zu vertreiben, so Gassary.
Nicht alle Rebellen in Darfur haben den Friedensvertrag mit der Regierung unterzeichnet. Die grösste Gruppe, die Sudanesische Befreiungsbewegung (SLM-AW), will sich nicht entwaffnen lassen. Die Rebellen fürchten neue Angriffe auf die Bevölkerung.
Für viele ist stossend, dass ausgerechnet die berüchtigten «Rapid Support Forces» (RSF), entstanden aus den Dschandschawid-Milizen, nun für Sicherheit in Darfur sorgen sollen. Die RSF haben nach Jahren der Unterdrückung einen schlechten Ruf. Anwohner des Marktes erzählen, RSF-Truppen hätten sich am Angriff beteiligt.
Nach Attacken wie jener auf den Dschebel-Markt kehrt der Alltag in Darfur jeweils nur langsam zurück. Auch viele Hilfsorganisationen ziehen dann jeweils zur Sicherheit ihre Mitarbeitenden ab.
Das Welternährungsprogramm (WFP) der UNO musste seine Arbeit im April für zwei Wochen einstellen, erklärt Sprecherin Leni Kinzli. Ausserhalb der Stadt werden die Hilfsgüter des WFP gar unter Polizeischutz verteilt, so Kinzli. Rund zwei Millionen Menschen in Darfur sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.
Auf dem Marktplatz in el-Dschunaina läuft erst eine der vielen Mühlen wieder. Frauen und Mädchen lassen dort ihre Hirse mahlen. Wasser- und Stromversorgung in der Gegend sind noch immer unterbrochen.
Auch wenn sie erneute Angriffe fürchten, viele Menschen ziehen aus den notdürftig errichteten Zeltlagern wieder zurück in ihre Häuser – um besser leben und arbeiten zu können. «Natürlich haben wir Angst», sagt Halima Arbab, «doch es bleibt uns keine Wahl».