«Islam ist die Lösung» war der langjährige Wahlslogan der Muslimbrüder in Ägypten. Diesen verwenden sie aber nicht mehr, sagt Politologin Mariz Tadros. Die Lebensbedingungen der meisten Ägypter haben sich unter Präsident Mursi massiv verschlechtert. «Die Armut hat zugenommen.»
In den Augen vieler Ägypter sei allerdings nicht der Präsident Schuld an der Lage, so Tadros. Es gebe genügend Beweise, dass das Land nicht vom Präsidentenpalast aus regiert wird, sondern vom Politbüro der Muslimbrüder.
Die grösste islamistische Organisation des Landes habe ihre Strahlkraft verloren. Früher haben die Muslimbrüder Kritik mit der «Religions-Keule» abwehren können. Nach dem Prinzip: «Wer uns kritisiert, kritisiert den Islam.» Diese Monopolisierung der Religion wird laut Tadros nicht mehr toleriert.
Reformer als Deckmantel
Die Kritik ist klar: Die Muslimbrüder haben ihre Versprechen nicht gehalten. Noch vor zwei Jahren wurde prophezeit, dass die Muslimbrüder sich zu einer gemässigt islamistischen Partei nach türkischem Vorbild entwickeln würden. Doch das Gegenteil sei eingetreten, so Tadros: Die Organisation habe sich noch mehr eingeigelt, reformwillige Mitglieder wurden ausgeschlossen.
Nach der Machtübernahme habe man sich die konservative Führung des moderaten Mäntelchens entledigt. Zu Zeiten Mubaraks habe man sich gegen aussen noch bewusst gemässigt gezeigt, so Tadros: «Die Reformer waren nur da, um internationale Befürchtungen zu beschwichtigen.»
Das Politbüro habe den Kontakt zur breiten Bevölkerung verloren. Bürger, die gegen Stromausfälle demonstrieren, werden als bezahlte Gauner beschimpft. Die Beschimpfungen und Drohungen in Mursis letzter Rede zur Nation erinnern Tadros gar an die letzten Tage Mubaraks.