Die Meldung, Wolfgang Schäuble habe seinen lässig-lockeren Amtskollegen Yanis Varoufakis als «dümmlich naiv» bezeichnet, löste am Mittwoch einen regelrechten Sturm im griechischen Blätterwald aus. Ein weiteres, untrügliches Beispiel dafür, wie der deutsche Finanzminister und sein «Diktat aus Berlin» systematisch versuchten, Griechenland fertigzumachen, gifteten die lokalen Medien.
Die vermeintliche Beleidigung sollte sich zwar später als Übersetzungsfehler herausstellen – an der Beschwerde gegen Schäuble hielt das griechische Aussenministerium indes fest.
Schäubles leidender Pressesprecher
Nun denn, ganz abwegig ist die Annahme, der deutsche «Nebenkanzler» liesse sich zu solch einer Äusserung hinreissen, auch wieder nicht. Schäubles Hang zum Jähzorn ist berühmt-berüchtigt. Unvergessen bleibt sein Auftritt an einer Pressekonferenz 2010, als er seinen Sprecher eiskalt lächelnd herunterputzte, weil dieser die Unterlagen nicht rechtzeitig verteilt hatte.
Kritiker freuten sich ob dieses Vorfalls bereits, Schäubles letztes politisches Stündchen habe nun geschlagen. Aber weit gefehlt. Einen Rüffel der Bundeskanzlerin gab es zwar, doch entlassen wollte Merkel den 1942 geborenen CDU-Politveteranen, der immerhin einst als Innenminister die Details der Wiedervereinigung ausgehandelt hatte, keineswegs.
Von Opferrolle keine Spur
Schäubles unbequeme Art gab bereits in den 1960er-Jahren zu reden, als er die baden-württembergische CDU kräftig aufmischte und gar als stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Freiburg abgewählt wurde, weil er zu aufmüpfig war. Seine politische Karriere trieb er dennoch unbeeindruckt voran.
Mit der Opferrolle – das lässt er derzeit auch die Griechen in voller Härte spüren – kann Schäuble sowieso nicht viel anfangen. Selbst als er 1990 nach einem Attentat während einer Wahlkampfveranstaltung im Rollstuhl landete, hielt er mit badisch-preussischer Disziplin an seinem Pensum fest. Er sei nun als Rollstuhlfahrer zwar «ein wenig langsamer unterwegs als andere Zeitgenossen», aber ansonsten voll einsatzfähig, sagte er in Interviews trotzig.
Ein Freund der Schweiz
Keine Spur dieser Trotzigkeit liess Schäuble offenbar bei seinen Besuchen in der Schweiz erkennen. Er habe ihn als sehr angenehme Persönlichkeit erlebt, sagt Gerold Bührer, der während seiner Zeit als Economiesuisse-Präsident mehrmals mit dem dienstältesten Finanzminister der Euro-Gruppe zusammentraf. Schäubles Erfahrungsschatz sei bemerkenswert. Und: «Er ist kein Hardliner-Politiker, sondern pragmatisch und sehr gesprächig – ein Deal-Maker», so Bührer im Gespräch mit SRF News. Zudem sei er ein ausgesprochener Schweiz-Freund.
Schäuble ist pragmatisch und sehr gesprächig – ein Deal-Maker.
Tatsächlich verbringt Schäuble, der an der Grenze zu Frankreich lebt, laut Medienberichten immer wieder seine Ferien in den Schweizer Bergen. 2005 hielt er in der Bündner Gemeinde Samnaun – als einer von bisher wenigen Ausländern – gar die 1. August-Rede. Unter dem Thema «Die Schweiz – Modell für Europa?» bekundete er seine Sympathie für den Föderalismus und die Macht der Kantone.
«Wolfgang, was meinst Du dazu?»
Deutlich weniger Sympathie schlägt dem wichtigsten Mann in Merkels Kabinett derzeit in Brüssel entgegen. Da er das wirtschaftsstärkste Mitgliedsland vertritt, ist Schäuble quasi der informelle Chef der Euro-Gruppe und in dieser Positition dazu verdammt, zermürbende Verhandlungen in der schieren Endlosschlaufe zu führen. Dass ihn dies bisweilen ermüdet, ist augenscheinlich. «Ich spreche sicher nicht das beste Englisch von allen, aber trotzdem fragen immer alle: Wolfgang, was meinst Du dazu?», sagte er jüngst gespielt überrascht.
Doch auch wenn Schäuble bei gewissen Weggefährten als kompromissloser Sparer und unverbesserlicher Prinzipienreiter verschrien ist, Respekt zollen ihm die meisten. Selbst Yanis Varoufakis, der wohl unterschiedlicher als Schäuble nicht sein könnte, sagte einst, er beobachte den Werdegang dieses überzeugten Europäers seit den 1980er-Jahren voller Bewunderung. Das Lebenswerk Schäubles, der sich stets um die europäische Einigung bemüht habe, sei beeindruckend. Der Vollständigkeit halber muss jedoch gesagt sein, dass diese Äusserung Varoufakis' bereits einige Wochen her ist. Ob er Schäuble auch heute noch so deutliches Lob zuteil kommen lassen würde, bleibt fraglich.