SRF News: Indigene und Aktivisten wehren sich gegen die Freigabe eines Teils des Schutzgebiets für den Abbau von Rohstoffen. Wie gross ist die Gefahr für den brasilianischen Regenwald tatsächlich?
Ulrich Achermann: Die Gefahr für den Regenwald und die darin lebenden Indiovölker ist absolut real. Man weiss aus Erfahrung, dass Bergbauprojekte im Urwald so grosse Schäden anrichten, dass am Schluss die Indios die Leidtragenden sind. Es geht dabei nicht nur um Abholzung, Umweltschäden und den Verlust von Biodiversität. Solche Grossprojekte locken immer auch Heerscharen von Leuten an – Holzfäller, Händler, Prostituierte und Gangster. Da ist es sehr schnell vorbei mit der Ruhe.
Von der gesamten Fläche dieses Schutzgebiets, das grösser ist als die Schweiz, soll rund ein Drittel für den Abbau von Rohstoffen freigegeben werden. Die Regierung verspricht, dass die restlichen zwei Drittel weiterhin unter Schutz stünden. Ist das glaubwürdig?
Nein, für mich ist das nicht glaubwürdig. Es wird grossflächig abgeholzt, und es geht Biodiversität verloren. Und meistens ist ziemlich schnell die Jagd nicht mehr möglich und damit fehlt eine der Lebensgrundlagen der Indios. Ausserdem arbeitet die Bergbauindustrie mit Cyanid und Quecksilber. Diese Gifte landen zuletzt in den Flüssen und verseuchen sie.
Was ist mit dem Argument der Regierung, die Region könne von der Industrialisierung profitieren?
Auch das ist eine Illusion, wie sich schon dutzendfach gezeigt hat. Wer profitiert, das sind die Bergbaukonzerne. Kein Indio wird jemals einen dieser Riesenlastwagen fahren.
Nun wird der Urwald verscherbelt, um Investoren anzulocken.
Lässt sich das Projekt noch aufhalten?
Aufhalten lässt sich das wohl kaum. Die Nachricht von der Aufhebung des Reservats hat es bei den meisten grossen Zeitungen in Brasilien nicht einmal auf die Titelseite geschafft. Das zeigt, dass das Interesse an diesem Thema in Brasilien selbst nicht sehr gross ist. In der Praxis kämpfen hier einfach Minderheiten, wie Nichtregierungsorganisationen und die Indiolobby, gegen handfeste Interessen – wirtschaftliche und politische. Die Regierung von Michel Temer kann nur überleben, wenn sie Brasilien ziemlich schnell aus der Rezession herausbringt. Und nun wird der Urwald verscherbelt, um Investoren anzulocken.
Das Gespräch führte Melanie Pfändler.