Die Nato lässt rhetorisch die Muskeln spielen: «Wir senden das klare Signal aus, dass ein Angriff auf einen Bündnispartner ein Angriff auf alle ist», sagte der Nato-Generealsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch. Und auch militärisch wird buchstäblich schweres Geschütz aufgefahren: Der Nordatlantikpakt will seine Militär-Präsenz in Osteuropa so stark ausbauen wie nie zuvor.
Damit sollen gemäss der Nato vorab die osteuropäischen Staaten gestärkt werden, die sich vom vermeintlichen russischen Aggressor bedroht fühlen: Greift ihr an, schlagen wir zurück – so die unzweideutige Botschaft.
«Persistent Presence» im Osten
Tatsächlich gehe es um «Rückversicherung», sagt Sicherheitsexperte und Russlandkenner Wolfgang Richter. Denn die russische Erklärung, man müsse Landsleute im Ausland schützen, wurde von der Nato auch als implizite Drohung an die baltischen Staaten verstanden; denn sie verfügen, wie die Ukraine, über teils bedeutende russische Minderheiten.
Die Antwort der Nato auf die diffuse Bedrohungslage: «persistent presence» – durchgängige Präsenz, wie der Sicherheitsexperte ausführt. Doch eben diese ist umstritten: Sprengt das Militärbündnis damit die Nato-Russland-Akte von 1997? Sie verbietet eine «substanzielle Stationierung» von Kampftruppen in Osteuropa. Der Begriff lässt freilich einiges an Interpretationsspielraum.
Nato sieht keine neue «Konfrontationslinie»
Die Nato weist dies entschieden zurück: «Sie sagt, dass es nicht um den Aufbau einer neuen Konfrontationslinie mit dauerhaften massiven Truppenstationierungen geht.» Tatsächlich soll es eine permanente Stationierung von Kampftruppen im Osten, wie sie Polen fordert, nicht geben.
Vorderhand bleibt jedoch einiges offen. Beim Nato-Gipfel vom kommenden Juli in Warschau werde man mehr über die konkreten Pläne der Nato erfahren, so Richter. Fest steht: Mit ihrer Vereinbarung geht die Allianz über die Beschlüsse ihres Gipfels in Wales 2014 hinaus, der wenige Monate nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland stattfand.
...das würde die europäische Sicherheitslandschaft nicht eben verstärken.
Der beschwichtigenden Worte zum Trotz: Das Säbelrasseln könnte vom Kreml aufgenommen – und weiter getrieben werden. «Wenn Russland zum Eindruck gelangen sollte, dass die Nato das Abkommen über Bord wirft – wofür auch einige Nato-Mitglieder offensiv eintreten – ist es nicht mehr an die eigene Verpflichtung zur Zurückhaltung gebunden.»
An einen «operativen Wettlauf» in und um Polen und das Baltikum glaubt Richter jedoch nicht: «Es wird darum gehen, symbolisch deutlich zu machen, dass man reagieren kann». In Form von weiteren, teils «gefährlich grenznahen» Militärmanövern beider Seiten: «Was die europäische Sicherheitslandschaft nicht eben verstärken würde. Deeskalation ist angesagt und die Nato muss aufpassen, dass sie nicht in eine gefährliche Spirale kommt.»
Denn wo die OSZE, aktuell unter deutschem Vorsitz, den Dialog und das Vertrauen erneuern wolle, tendierten «verschiedene Nato-Partner» in eine andere Richtung: «Hier braucht es einen Kompromiss, und den wird es in Warschau wohl auch geben.»
Sollten mässigende Kräfte in der Nato wider Erwarten hinten anstehen, rechnet Richter mit dem «Beginn eines neuen Wettrüstens im Baltikum und dem Wiederaufbau einer militärischen Konfrontationslinie.» Trotz gegenteiliger Verlautbarungen der Nato.
In der Krise den Dialog abzubrechen, ist das Schlechteste, was man tun kann.
Klar ist: Seit der russischen Annexion der Krim vor knapp zwei Jahren hat sich die Tonlage zwischen Russland und dem westlichen Militärbündnis verschärft. Statt miteinander wird oft übereinander gesprochen. Ein Beispiel dafür: Der Nato-Russland-Rat wurde ausgesetzt.
Bei aller rhetorischen Hochrüstung: Gewichtige Nato-Mitgliedsstaaten wüssten um die Bedeutung eines konstruktiven Gesprächsklimas mit dem Kreml, ist Richter überzeugt. Und tatsächlich laufen Bestrebungen, den Nato-Russland-Rat neu zu beleben. Doch ist das angesichts der aktuellen Entwicklungen überhaupt noch realistisch? «Ja», findet Richter. «Und es ist absolut nötig. In der Krise den Dialog abzubrechen, ist das Schlechteste, was man tun kann.»
Nach dem Kalten Krieg sei man in Europa angetreten, die Phase der Konfrontation zu überwinden, und, gemäss OSZE-Doktrin einen «einheitlichen Sicherheitsraum ohne Trennlinien zu schaffen.» Davon sind wir heute weit entfernt, so Richters pessimistisches Urteil: «Doch dieser Ansatz muss gestärkt werden – auch in der Nato.»