Am Donnerstag sind Truppen des ukrainischen Innenministeriums in der Stadt Slawjansk im Osten des Landes militärisch gegen pro-russische Aktivisten vorgegangen. Russland reagierte sofort und startete ein grossangelegtes Militärmanöver im Grenzgebiet. «Das ist natürlich eine Drohgebärde», sagt NZZ-Korrespondent Rudolf Hermann, der sich vor Ort befindet.
Verstärkt werde diese durch die Aussage des russischen UNO Botschafters Witali Tschurkin. Er sagt, Russlands Regierung behalte sich eine Art Selbstverteidigungsoption, ähnlich wie sie es in Georgien 2008 tat, offen. Bei diesem Fünftagekrieg versuchten georgische Einheiten die Kontrolle über den Osten des Landes von Russland zurückzugewinnen. Daraufhin griffen russische Truppen ein und drängten die georgische Armee zurück.
Situation auf der Kippe
Ähnliches könnte sich nun auch im Osten der Ukraine wiederholen. Die Stadt Slawjansk wird weitgehend von bewaffneten Separatisten kontrolliert. Sie haben zahlreiche Checkpoints eingerichtet und öffentliche Gebäude besetzt. Bei den jüngsten Aktionen der Ukraine handelt es sich um Antiterroraktionen. Die Ukraine versuche, die bewaffneten Separatisten in den Griff zu bekommen, sagt Hermann.
Wie gross die Gefahr einer Eskalation zwischen der Ukraine und Russland tatsächlich ist, sei schwer zu sagen. Die Situation sei ständig auf der Kippe. Allerdings beschränkten sich die gefährlichen Situationen auf die Hotspots. Im Rest des Landes spüre man wenig vom Konflikt und das alltägliche Leben gehe normal weiter.
Menschen als Schutzschilde
Für die Ukraine sei es schwierig, etwas in diesem Konflikt zu erreichen. Das wäre nur mit einer grösseren Aktion möglich und die sei gefährlich. «Es bestünde die Gefahr, dass die Ukraine dabei auf eigene Leute schiessen würde», sagt Hermann. Die Ukraine ist sich dessen bewusst. Deshalb würden Aktionen gezielt so geplant, dass dies nicht passiere. Die Gegenseite wisse das und man höre immer wieder von menschlichen Schilden, die den russischen Separatisten zur Seite gestellt würden. «Wie freiwillig sich diese Menschen dafür zu Verfügung stellen, ist allerdings schwer zu sagen», sagt Hermann.
Der Umstand, dass ukrainische Truppen Zivilisten treffen könnten, mache die Operation für die Ukraine sehr heikel. «Sie will auf jeden Fall vermeiden, dass man sie beschuldigen könnte, auf die eigenen Leute zu schiessen.»
Gleiche Bilder, aber andere Situation
Obwohl die Bilder aus Slawjansk denjenigen vom Maidanplatz in Kiew von vergangenem Winter gleichen – Barrikaden, Demonstrationen und besetzte Gebäude – sei die Situation doch eine andere, sagt Hermann. «In Kiew war es eine Bewegung, die aus dem Volk kam.» Sie richtete sich gegen einen Entscheid der Administration Janukowitschs; nämlich den Assiozationsvertrag mit der EU nicht zu unterschreiben. Die Proteste blieben in Kiew und trotz grosser Beteiligung lange friedlich. Eskaliert seien sie erst, als die Regierung mit Repressionen und Polizei eingeschritten sei und quasi die Demonstrierenden kriminalisiert habe. «Im Osten der Ukraine sprachen dagegen von Anfang an die Waffen der Separatisten.»
Ausserdem seien es nur ein paar wenige Leute, welche die Separatisten unterstützten. «Sie haben keine grosse Verankerung in der Bevölkerung», ist Hermann überzeugt. «Es ist zwar möglich, dass gewisse ihrer Forderungen eine Resonanz im Volk finden, aber die Art wie sie durchgesetzt werden, nicht.»