SRF News Online: Hosni Mubarak steht erneut vor Gericht. Wie wichtig sind Prozesse gegen Ex-Machthaber, um die totalitäre Vergangenheit eines Landes wie Ägypten aufzuarbeiten?
Stefan Trechsel: Sehr wichtig. Sie signalisieren, dass vor dem Recht alle gleich sind. Und dass es in einem Staat niemanden geben darf, der ungesühnt Verbrechen begeht oder begehen lassen kann.
Aus ihrer Erfahrung in Den Haag: Was ist die Wirkung solcher Prozesse?
Das ist schwer zu beurteilen. Eigentlich möchte man sagen können: Sie zeigen, dass das Recht existiert und die Behörden sachlich und gründlich damit umgehen. Das Ziel ist aber nicht leicht zu erreichen, weil es vielfach einen enormen politischen Druck und eine grosse emotionale Spannung gibt.
Woher kommt diese Spannung?
In Ländern, in denen einem gestürzten Herrscher der Prozess gemacht wird, gibt es in der Politik fast immer Anhänger und Gegner des ehemaligen Machthabers. Den Anhängern haben die Taten des Diktators genutzt. Und sie wollen den Gestürzten natürlich verteidigen. Die Profiteure haben – vielleicht zu Recht – Angst, dass beim Prozess Dreck zum Vorschein kommt, der auch an ihren Westen Flecken sichtbar macht. Diese Leute sind grundsätzlich gegen solche Prozesse. Sie haben das Gefühl, dass der Prozess politisch motiviert ist, nicht sachlich-juristisch. Auf der anderen Seite gibt es die Opfer, die oft einen grossen Rachedurst haben. Und die haben von vornherein Angst, dass der Angeklagte zu sehr geschont wird und weiterhin Privilegien geniesst.
Haben diese Prozesse auch eine Signalwirkung auf andere Diktatoren?
Das haben sie schon, zumindest muss man das hoffen. Nicht nur die internationalen Prozesse, sondern auch die vor nationalen Gerichten. Vielleicht sind die nationalen Prozesse dabei sogar noch wertvoller, weil sie zeigen, wie ein Land selbst seine Verantwortung wahrnimmt. Aber eine allgemein abschreckende Wirkung lässt sich kaum nachweisen.
Niemand wird vorsichtiger?
Nein. Sehen sie sich Assad in Syrien an. Ich kann mir nicht vorstellen, was in diesem Mensch vor sich geht, aber viel Gescheites kann es nicht sein. Es ist völlig unvorstellbar, dass er weiterhin von der Staatengemeinschaft anerkannt und geachtet wird. Das Problem ist, dass sich diese egomanen Diktatoren aus der Realität ausklinken. Sie schaffen sich stattdessen ihre eigene Welt. Die sagen sich dann, entweder erreiche ich mein Ziel, oder ich gehe unter. Kompromisse gehen sie keine ein.
Welche Schwierigkeiten stellen sich bei Prozessen gegen ehemalige Potentaten?
Da gibt es einen grossen Unterschied zwischen nationalen und internationalen Gerichten: Nationale Gerichte sind Teil der Staatsgewalt und haben somit eine Zwangsmacht. Vereinfacht gesagt: Sie können die Polizei einsetzen, Hausdurchsuchungen anordnen oder Leute verhaften lassen. Das können internationale Gerichte nicht – oder noch nicht. Dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag macht das die Arbeit sehr schwierig. Zugleich haben die nationalen Gerichte aber möglicherweise das Problem, dass Teile der Staatsmacht nicht am Prozess mitwirken wollen.
Lässt sich mit so einem Prozess auch die Vergangenheit einer Diktatur bewältigen?
Man darf keine unrealistischen Erwartungen haben an Gerichtsverfahren. Sie sind kein Vehikel, um die Geschichte aufzuarbeiten. Historiker beurteilen die Vergangenheit nach allen greifbaren Quellen. Gerichte dagegen haben strengere Regeln und können viele Belege gar nicht verwenden. Die Fairness, die das Recht anstrebt, ist teuer. Sie macht das Verfahren zunehmend schwierig und umständlich. Gerichte können keine Macht ausüben, andere müssen Ordnung schaffen.