Nach dem Wahlsieg der regierenden islamisch-konservativen AKP fordert Präsident Erdogan die weltweite Anerkennung des Ergebnisses. «Ein Sieg der Furcht» , titelten heute zwei grosse heimische Zeitungen, wie Journalistin Luise Sammann in Istanbul berichtet.
SRF News: Die AKP gewinnt die absolute Mehrheit zurück. Was ist der Grund für diese Trendwende?
Luise Sammann: Dafür gibt es mehrere Gründe. Ganz zuoberst ist, dass die Oppositionsparteien im wahrsten Sinne des Wortes versagt haben. Sie konnten die Chance, die ihnen die Wahlschlappe der AKP im Juni geboten hat, nicht nutzen. Genauso wichtig ist wohl die Tatsache, dass die AKP für die türkischen Bürger ein unheimlicher Stabilitätsgarant ist. Das hat dieses Ergebnis nochmals gezeigt.
Der Aufschwung der letzten Jahre hier ist unvermeidbar mit dem Namen Erdogan und mit der AKP verknüpft. Das Chaos, das seit der Wahl im Juni vielen Menschen Angst gemacht hat, wollten sie offensichtlich beseitigen, indem sie in grosser Zahl die AKP gewählt haben.
Hat Erdogan auch vom Terror profitiert. Ist sein Plan auch deshalb aufgegangen?
Zumindest ziehen viele Menschen offensichtlich die AKP der Instabilität vor. Wenn jemand von diesem Chaos profitiert hat, dann auf jeden Fall Erdogan. Andersherum muss sich die pro-kurdische HDP vorwerfen lassen, dass sie sich nicht deutlich genug vom Terror distanziert hat. Dafür wurde sich nun offensichtlich von den Wählern abgestraft.
Der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas bezeichnete die Wahlen als unfair. Seine Partei habe wegen Angriffen auf seine Partei keinen Wahlkampf führen können. Stimmt das?
Das ist richtig. Es hat ja in den letzten Wochen unzählige Anschläge auf HDP-Büros gegeben. Dazu kam der fürchterliche Anschlag in Ankara, als über 100 HDP-Anhänger getötet wurden. Demirtas sagte gestern Abend in seiner Rede: «Wir waren so beschäftigt, unsere Leute hier zu beschützen, dass wir gar keine Zeit für Wahlkampf hatten.» Das ist sicherlich etwas dran. Trotzdem müsste auch angesichts des so deutlichen Ergebnisses klar geworden sein, dass auch ein anderer Wahlkampf wohl nichts an diesem AKP-Sieg hätte ändern können.
Welche Rolle spielt die Opposition in der Türkei nach diesen Wahlen noch?
Sowohl die pro-kurdische HDP wie auch die nationalistische MHP haben es ins Parlament geschafft. Es werden also vier Parteien im Parlament sitzen, drei waren es bisher. Es gibt also eine Opposition. Aber deren Rolle ist genau so klein oder gross, wie sie es in den letzten 13 Jahren war, in denen die AKP allein die Regierung innehatte.
Das heisst, dass keine Partei ausser der AKP an der Entscheidungsfindung und am Gesetzgebungsprozess beteiligt ist. Erdogan und seine Leute können im Prinzip schalten und walten, wie sie wollen, und das ganz legal. Aber offensichtlich will es die Mehrheit der türkischen Bevölkerung so.
Wird Erdogan nun noch autoritärer auftreten?
Ja, der ehemalige Premier und heutige Präsident ist in die Regierung immer mit einbezogen. Die Menschen und vor allem die Opposition fragen sich, wie es hier weitergeht. Zwei grosse Zeitungen titelten hier heute Morgen, dass es ein «Sieg der Furcht» sei, den die AKP hier errungen habe. Das gibt einen Eindruck von der Stimmung, die in der Opposition herrscht.
Einige sagen aber auch, es werde nun erst einmal ruhiger. Premierminister Davotoglu hat gestern Friedensnachrichten in alle Richtungen versandt. Trotzdem ist sicherlich die Angst gross, dass die AKP mit dieser komfortablen Mehrheit überhaupt keinen Grund mehr hat, andere Stimmen anzuhören.
Was bedeutet das Wahlresultat nun für das Zusammenleben mit den Kurden und auch mit den AKP-Gegnern in Türkei?
Es bedeutet vor allem weiterhin viel Frust für alle jene, die aus den unterschiedlichsten Gründen zum Anti-Erdogan-Lager gehören. Man darf nicht vergessen, dass 49,9 Prozent zwar eine komfortable Mehrheit sind. Trotzdem gibt es da eine andere Hälfte der Gesellschaft, die mit der AKP-Regierung nicht glücklich ist. Denn sie alle werden an der Regierung nicht beteiligt sein. Die tiefen Gräben in der türkischen Gesellschaft werden wohl weiterhin ganz deutlich zum Vorschein treten. Leider wird sich die Stimmung hier nicht bald bessern oder beruhigen.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.