Fast 40 Jahre sind vergangen, seit der Grossvater des «Führers» in Pjöngjang seine Genossen der Arbeiterpartei ihrer politischen Gestaltungsmacht beraubte. Am letzten Parteikongress von 1980 besiegelte die Kim-Dynastie die Doktrin «Military First». De facto die Abkehr von der marxistisch-leninistischen Doktrin der proletarischen Herrschaftsteilung.
Formal geht es um die Machterhaltung
Fortan verkam die Arbeiterpartei Nordkoreas zum ideologischen Feigenblatt für einen engen Machtzirkel aus dem grossen Führer und einer Handvoll finanziell privilegierter Militärs.
Für SRF-Ostasien-Mitarbeiter und Nordkorea-Experte Urs Morf ist es ein weiterer Akt im Machtspiel des jungen Diktators: Dass Kim Jong Un nun scheinbar mit dieser Doktrin bricht und die Delegierten der Partei zurück in den Lichtstrahl politischer Wahrnehmbarkeit holt.
Natürlich habe es zwischen dem letzten Parteikongress und heute verschiedene kleinere Partei-Konvente gegeben, sagt Morf im Gespräch mit SRF News. «Aber wirklich etwas zu sagen hatten die Genossen nicht.» Und das wird nach Ansicht Morfs auch in Zukunft so bleiben.
Denn formal dürfte es Kim Jong Un auch mit diesem politischen Ausnahme-Ereignis in erster Linie um die Konsolidierung seiner Machtposition gehen. Und das macht ihn in den Augen Morfs alles andere als unberechenbar. Im Gegenteil: «Kim Jong Uns Vorgehen halte ich für sehr rational.»
Epochale Veränderungen versprochen
Zunächst habe der junge Führer demonstriert, was ihm an beigestellten Familien-Autoritäten liegt. Sowohl des Onkels als auch der Tante hat er sich entledigt. Den Onkel hat er sogar hinrichten lassen. Und auch hochrangige Mitglieder des Militärs, scheinbar fest im Sattel dynastischer Gunst, sind vom ambitionierten Jung-Diktator hinweggefegt worden. Erst kürzlich soll er seinen Verteidigungsminister Hyon Yong Chol mit Flugabwehr-Geschützen exekutiert haben.
Damit, dass er nun den verstaubten Parteikongress aus der Versenkung holt, setze Kim Jong Un auch ein quasi zivilgesellschaftliches Zeichen, sagt Morf. Nicht mehr «Military First», sondern die zumindest in Aussicht gestellte Rückkehr zu einem Einparteiensystem. Natürlich unter seiner Herrschaft.
Ob er nun mit der alten Doktrin bricht oder nur zur Machtdemonstration an ihr kratzt, inhaltlich hat Kim Jong-Un für den Kongress «epochale Veränderungen in der Schaffung eines starken und wohlhabenden sozialistischen Staates» versprochen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) eine Ankündigung des Politbüros zitiert.
Was am Kongress an Inhalt zu erwarten ist
Morf fasst in zwei Punkten zusammen, was das bedeuten könnte. Zum einen rechnet er mit einer überraschenden Ankündigung. Etwas, womit der Diktator zusammen mit den Parteidelegierten seiner Atompolitik die Absolution erteilen kann. Vielleicht die Ankündigung eines fünften Atombomben-Versuchs. Oder eine Erfolgsmeldung zu den Trägersystemen.
Als zweites Standbein einer gelungenen Machtentfaltung könnte sich Morf das Vorantreiben der Wirtschaftsreformen vorstellen. Mittels kleiner Zugeständnisse an die ökonomische Selbstverantwortung der Bürger arbeitet sich Kim Jong Un an eine partielle Liberalisierung heran. Ein Modell, wie es der grosse Bruder China verfolgt und mit dem er bei seinem hungernden Volk bei geeigneter Propaganda ebenso Bewunderung ernten kann.
Kim Jong Un hat aus Gaddafis Niedergang gelernt.
Also wieder das altbekannte Marionetten-Theater für das gebeutelte Volksauditorium und eine verdutzte Weltgemeinschaft auf den Stehplätzen? Nein, meint Morf. Es wäre zu einfach, den Parteikongress mit dem üblichen westlich imprägnierten Hohn abzutun. Seiner Meinung nach agiert der junge Führer ziemlich ausgefuchst.
Das Neuste zu Nordkorea
Nach aussen versucht er, seinen Machtanspruch gegen Angriffe und Einmischungen atomar zu immunisieren. «Kim Jong Un hat gesehen, wie es mit Gaddafi lief», sagt Morf. «Der hat zuerst seine Atomwaffen-Allüren aufgegeben und wurde dann ein paar Jahre später an einer Landstrasse bei Sirte erschlagen.»
Und nach innen verrate diese Wiederbelegung des Kongresses machtpolitisches Kalkül, ist sich Morf sicher. «Die allermeisten Menschen in Nordkorea haben keine anderen Informationen als jene des Regimes.»
Für sie wird der Kongress genau das sein, als was er vom Regime verkauft werden wird: als der Auftritt eines jungen, dynamischen Führers, der die Fehler der Väter ausmerzt, dem Todfeind den Stinkefinger zeigt und dem hungernden Volk mit einer neuen Wirtschaftsidee Mut macht. Der junge Kim Jong Un hat seine Hausaufgaben gemacht.