SRF News: Iran hat jahrzehntelang auf diesen Moment gewartet. Jetzt ist er da: Was heisst das?
Iren Meier: Dieser Moment bedeutet für die iranische Bevölkerung eine unendlich grosse Erleichterung. Nach jahrzehntelanger Ausgrenzung und Isolation geht im Iran wieder eine Tür in Richtung Westen auf. Nach 36 Jahren Eiszeit zwischen dem Westen und dem Iran kann das Land wieder in die internationale Gemeinschaft zurückkehren. Aussenminister Sarif hat von einem «historischen Moment» gesprochen und von einem «neuen Kapitel der Hoffnung». Ich glaube, für sein Land stimmt das. Das psychologische Moment ist genauso wichtig wie das politische und das wirtschaftliche.
Kürzlich haben Ihnen junge Iraner geschildert, wie sehr sie eine Öffnung herbeisehnen. In welchen Bereichen werden die Wirtschaft und das Land besonders davon profitieren?
Gerade die jungen Iraner wissen, dass das nicht über Nacht geht. Sie haben schon lange Geduld gehabt und wissen, dass sie weiterhin Geduld haben müssen. Die Sanktionen werden nur schrittweise aufgehoben, entsprechend wird es Monate dauern, bis der normale Bürger etwas davon spürt. Für die iranische Wirtschaft ist die Aufhebung der Sanktionen lebenswichtig. Zunächst geht es nun darum, das Ölgeschäft wieder anzukurbeln, Zugriff auf das internationale Bankensystem zu erhalten, normale internationale Handelsbeziehungen aufzunehmen und die rund 120 Milliarden Dollar blockierter Gelder zurückzubekommen, um die Wirtschaftskrise langsam zu überwinden.
Die Jugend hofft auf eine Öffnung und echte Reformen.
Der Iran wird nun auch für ausländische Investoren interessant. Geht nun sofort das grosse Geschäften los?
Das hängt vom Fahrplan ab, wie schnell die Sanktionen aufgehoben werden. Klar ist: Seit langem sind viele westliche Investoren im Stand-by-Modus. Der Iran ist einer der grössten, dynamischsten und interessantesten Märkte der Region und viele wollen dort Geschäfte machen. Doch das Land braucht nicht nur ausländische Investitionen, sondern auch Technologie. Ein grosses Problem im Land ist die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen. Zur Schaffung von Arbeitsplätzen braucht der Iran den Austausch mit dem Ausland, nicht nur Investitionen.
Mit dem Atomabkommen hat Irans Präsident Rohani ein erstes Wahlversprechen eingelöst, es werden nun wirtschaftlich Türen in Richtung Westen aufgehen. Könnte das auch der Anfang einer politischen Öffnung sein?
Das hoffen viele Iraner. Rohani hat immer gesagt, zuerst komme das Atomabkommen, dann würden auch politische und gesellschaftliche Reformen folgen. Viele seiner Anhänger sagen, der Westen werde noch staunen, was Rohani alles tun könne und was er alles verändern werde. Vor allem die dem Mullah-Regime sehr kritisch gegenüberstehende Jugend hofft auf eine Öffnung und echte politische Reformen. Allerdings gibt es im Iran auch die sehr strengen Ideologen und Hardliner um Ajatollah Chamenei. Auch sie sind für das Atomabkommen, vor allem für die Aufhebung der Sanktionen. Doch sie wollen keine Öffnung des Landes. Sie wollen Isolation – das bedeutet für sie Unabhängigkeit des Irans. Man weiss also nicht, in welche Richtung das Land gehen wird. Sicher aber ist: Heute sind die Reformer und Präsident Rohani gestärkt worden.
Das Interview führte Brigitte Kramer.