Nicht viele Politiker können eine solche Erfolgsbilanz aufweisen wie der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan: Seit er die islamisch-konservative AKP 2002 an die Macht führte, hat er keine Wahl verloren.
Bald neuer Präsident
Der Einzug in das höchste Staatsamt ist die Krönung seiner steilen Karriere, die Erdogan 1994 als Bürgermeister von Istanbul begann.
Kritiker bezweifeln allerdings, ob Erdogan die ausgleichenden und einigenden Qualitäten besitzt, die für das Präsidentenamt gemeinhin vorausgesetzt werden. Erdogan ist kein Diplomat, der den Kompromiss sucht.
Im Gegenteil: Er ist ein Machtmensch, der keinen Kampf scheut und der die Türkei polarisiert hat. Er geht Kontrahenten hart an und legt eine aggressive Rhetorik an den Tag, die gelegentlich in Wut umzuschlagen scheint.
Jugend im Arbeiterviertel
Seine Jugend verbrachte Erdogan im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa, dort gibt es keine der europäisch geprägten Elite-Schulen. Er lernte, sich durchzuboxen. Er kickte auf dem Fussballplatz und spielte in der Amateurliga.
Sein politischer Aufstieg erfolgte gegen massiven Widerstand vor allem des Militärs, das sich als Hüter des Erbes von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sieht. Es wurde von Erdogan inzwischen weitgehend entmachtet.
Nach dem AKP-Sieg bei den Kommunalwahlen im vergangenen März kündigte Erdogan an, Gegner «bis in ihre Höhlen» verfolgen zu wollen. Im Präsidentschaftswahlkampf sagte er kürzlich: «Jetzt hat der Terrorstaat Israel mit seinen Grausamkeiten in Gaza Hitler übertroffen.»
Unliebsame Journalisten geht Erdogan persönlich an. Einer prominenten Medienvertreterin warf er vor wenigen Tagen vor, «eine Militante in Gestalt einer Journalistin» zu sein.
Schwieriges Verhältnis mit EU
In der EU sorgen Erdogans Aussagen und sein zunehmend autoritärer Regierungsstil für Irritationen. Westliche Staats- und Regierungschef lassen sich kaum noch in Ankara blicken.
Wie unangenehm solche Besuche werden können, musste im April der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck erleben. Nach verhaltener Kritik des früheren Pfarrers Gauck an Demokratiedefiziten in der Türkei kam es zum Eklat. Erdogan spottete: «Der deutsche Staatspräsident sieht sich immer noch als Priester.»
Bei Anhängern kommt Erdogan mit seinen scharfen Tönen gut an. Er verfügt über schier unbändige Energie und tritt auch ausserhalb von Wahlkampfzeiten so häufig auf Kundgebungen auf, dass man sich gelegentlich fragt, wann er Zeit zum Regieren findet.
Mann des Volkes
Auf den Grossveranstaltungen gibt er sich als zupackender Mann des Volkes, der die Türkei vor bösen Mächten – also vor seinen Gegnern – schützt. Der Kolumnist Kadri Gürsel schreibt von einem regelrechten «Erdogan-Kult», der sich um den Politiker gebildet habe.
Als Mann des Volkes wurde Erdogan auch in einem AKP-Wahlkampfspot dargestellt, dessen Ausstrahlung die Wahlkommission wegen religiöser Symbolik untersagte. Dort tragen Menschen aus dem ganzen Land zu Fuss, auf dem Pferd, mit dem Zug oder dem Flugzeug die goldenen Sterne aus dem roten Präsidentenemblem nach Ankara. Den grössten Stern in der Mitte des kreisrunden Emblems bringt Erdogan am Eingang des Präsidentenpalastes Cankaya an. Dann öffnet sich wie von Geisterhand das Tor zum Palast – und Erdogan führt die Menschenmassen hinein.