Das Wichtigste in Kürze
- Der Ausnahmezustand in der Türkei wird voraussichtlich erneut verlängert.
- In zahlreichen Städten kam es zu Protestaktionen von Erdogan-Gegnern.
- Präsident Erdogan hält sein Volk für «zufriedengestellt und glücklich».
Nach dem umstrittenen Sieg von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beim Verfassungsreferendum hat die Regierung eine erneute Verlängerung des Ausnahmezustands beschlossen.
Vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments am heutigen Dienstag soll der Ausnahmezustand nun mindestens drei weitere Monate in Kraft bleiben, wie Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus sagte.
Am Montagabend waren in Ankara jeweils unter Erdogans Vorsitz zunächst der Nationale Sicherheitsrat und dann das Kabinett zusammengekommen. Der Sicherheitsrat teilte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mit, die Massnahme diene «dem Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechte und Freiheiten unserer Bürger».
Sie sind eine Regierung geworden, die abhängig ist vom Ausnahmezustand.
Formell muss nun noch das Parlament der Verlängerung zustimmen. Dies gilt als sicher, da Erdogans islamisch-konservative Partei AKP über eine absolute Mehrheit verfügt. Ohne Verlängerung wäre der Ausnahmezustand in der Nacht zum Mittwoch ausgelaufen.
Kritik kam aus der Opposition. Der Abgeordnete Baris Yarkadas von der grössten Oppositionspartei CHP warf der Regierung vor: «Sie können dieses Land nicht ohne Ausnahmezustand regieren. Sie sind eine Regierung geworden, die abhängig ist vom Ausnahmezustand.»
Neue Protestaktionen
Nach dem umstrittenen Referendum ist es in Istanbul erneut zu Protesten gegen den Staatschef gekommen. Im Stadtteil Besiktas im Zentrum der Millionenmetropole versammelten sich am Montagabend rund 2000 Demonstranten, wie eine Reporterin berichtete. Sie skandierten unter anderem «Dieb, Mörder, Erdogan». Anwohner lehnten sich aus dem Fenster. Sie klatschten und schlugen als Zeichen des Protestes auf Töpfe.
Auch im Istanbuler Viertel Kadiköy auf der asiatischen Seite der Metropole versammelten sich nach Angaben von Augenzeugen mehrere Tausend Demonstranten. Sie hielten Plakate in die Luft, auf denen in Anlehnung an den knappen Sieg des «Ja»-Lagers beim Referendum stand: «Das 'Nein' ist nicht zu Ende, es fängt gerade erst an». Zunächst kam es nicht zu Zusammenstössen mit der Polizei.
Die Gruppe «Hayir Besiktas» (Nein Besiktas) hatte in dem Aufruf zur Demonstration geschrieben: «Wir sind hier gegen Betrügereien, Ungerechtigkeiten und gestohlene Stimmen!» Auch in der Hauptstadt Ankara und der westtürkischen Stadt Izmir hatten Regierungskritiker zu Protesten aufgerufen.
Erdogan verspottet Demonstranten
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Erdogan verspottete die Demonstranten am Montagabend in einer Ansprache vor dem Präsidentenpalast. «Während das Ergebnis vom 16. April unser Volk zufriedengestellt und glücklich gemacht hat, hat es andere ganz ohne Zweifel enttäuscht», sagte er. «Wie ich sehe, sind die mit den Kochtöpfen und Pfannen wieder aufgetaucht.»
In Anlehnung an die niedergeschlagenen Gezi-Proteste vom Sommer 2013 sagte Erdogan: «Das sind eben Gezi-Leute. Das sind die mit den Töpfen und Pfannen.» Auch damals hatten Anwohner ihrem Protest durch das Schlagen auf Kochtöpfe Ausdruck verliehen.
Drei Veränderungen in Kürze
Nach dem knappen Sieg von Erdogan beim Verfassungsreferendum muss zunächst die Wahlkommission ein amtliches Endergebnis verkünden. Kommissionschef Sadi Güven kündigte am Sonntagabend an, das werde «unter Berücksichtigung der Einspruchsfrist in spätestens elf bis zwölf Tagen» geschehen.
Mit der Veröffentlichung des Endergebnisses im Amtsanzeiger ist die Verfassungsänderung in Kraft. Dann beginnt die schrittweise Umsetzung der Reformen. Zunächst treten nur drei von zahlreichen Änderungen in Kraft: Mit der Veröffentlichung im Amtsanzeiger darf der Präsident wieder einer Partei angehören. Erwartet wird, dass Erdogan bald nach Inkrafttreten wieder offiziell Chef der Regierungspartei AKP wird.
Änderungen im Justizsystem
Ausserdem werden die Militärgerichte abgeschafft. Zudem beginnen die Vorbereitungen für die Neubesetzung des Rates der Richter und Staatsanwälte, was innerhalb von 30 Tagen abgeschlossen sein soll.
Der Ministerpräsident und die Regierung bleiben bis zur nächsten Wahl im Amt, die für November 2019 geplant ist, aber vorgezogen werden kann. Bei dieser Abstimmung werden erstmals zeitgleich sowohl das Parlament als auch der Präsident gewählt. Erst danach wird der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef.