Recep Tayyip Erdogan ist ein eindrücklicher politischer Aufstieg gelungen. Aus einfachen Verhältnissen wurde er Stadtpräsident von Istanbul, später Premierminister und nun zum mächtigsten Präsidenten seit Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk.
Die Autorin Cigdem Akyol schreibt für die «Zeit» und hat eine Biografie über Erdogan geschrieben.
SRF News: Wie wird sich Erdogan nach seinem Abstimmungssieg gegenüber der Hälfte der türkischen Gesellschaft verhalten, die Nein gestimmt haben?
Cigdem Akyol: Erdogan hat einen sehr knappen Sieg erreicht und da liegt jetzt sein Problem: Die Position, auf der er heute steht, bröckelt. Deswegen muss er diesen untermauern. Es ist davon auszugehen, dass Erdogan den autokratischen Kurs weiter halten wird, wie seit dem Putschversuch im letzten Sommer. Er wird also mit den Millionen Menschen, die ihn nicht unterstützt haben noch unbarmherziger umgehen. Er wird noch massloser gegen Oppositionelle und regierungskritische Journalisten losgehen und er wird mit aller Vehemenz die kemalistische Justiz gleichschalten.
Aber diese politische Spaltung in der Türkei ist doch ein Spiel mit einem hohen Risiko – auch für Erdogan selbst.
Dieses Risiko ist Erdogan bisher immer eingegangen und er hat immer gewonnen. Polarisieren, eskalieren, Stimmung machen am rechten Rand, die nationalistische Trommel schlagen: Erdogan wird seine bisherige Strategie weiterführen, weil er damit erfolgreich war. Er hat auch kein Interesse an einer Konsens-Gesellschaft, in der frei debattiert werden kann. Er will keine Versöhnung, denn die bringt ihm keine Stimmen. Er bekommt nur Stimmen, wenn er nationalistisch aufreizt.
Was ist denn aus jenem Erdogan geworden, der sich einst als konservativer Demokrat präsentiert hat und der auch im Westen viele Sympathien genossen hat?
2003 ist Erdogan als Reformer angetreten. Angefangen als Ministerpräsident, beherrscht er seitdem die politischen Geschicke der Türkei. Auf seinem Weg zum Präsidialamt wurde Erdogan mehrfach gedemütigt. Vom Militär, von der kemalistischen Opposition und auch von seinem eigenen Volk, das haben die Gezi-Proteste 2013 gezeigt. Aber ein Erdogan lässt sich nicht aufhalten, von Sieg zu Sieg wurde er immer verhärmter und hat auch immer mehr Angst bekommen. Denn nur wer sich fürchtet, baut solch ein autokratisches System auf.
Nur wer sich fürchtet, baut solch ein autokratisches System auf.
Ist denn das neue Präsidialsystem noch nicht das Endziel Erdogans?
Nein, Erdogan hat ganz klar das Jahr 2023 im Blick. Dann feiert die Türkische Republik ihr 100-jähriges Bestehen. Er möchte dann immer noch als Präsident die Geschicke des Landes leiten. Und er würde dann in einem Atemzug mit dem türkischen Republikgründer Kemal Atatürk genannt werden. Erdogan könnte gar Atatürks Stelle in den Geschichtsbüchern überstrahlen.
Trotz dieser Machtfantasien sollte man Erdogan nicht als Diktator oder Sultan bezeichnen. Warum?
Die Türkei ist keine Diktatur. Es gibt immer noch Oppositionsparteien. Natürlich sitzen nicht wenige Oppositionelle im Gefängnis, aber es gibt immer noch freie Medien in der Türkei und es gibt immer noch eine wache und lebendige Zivilgesellschaft. Eine Diktatur, etwa vergleichbar mit Syrien, ist die Türkei bei weitem nicht. Erdogan ist aber ganz klar ein autokratischer Politiker, der keine gegenteilige Meinung duldet.
Ist Erdogan nicht beleidigt, dass er beim Referendum nur ein knappes Resultat eingefahren hat?
Selbstverständlich. Es gibt Stimmen, die sagen, Erdogan sei überhaupt nicht zufrieden mit diesem Ergebnis, denn er hat nur 51 Prozent Ja erhalten, trotz massiver Manipulation der Medien und des Nein-Lagers, trotz der Festnahme tausender Oppositioneller. Hätten diese Unterdrückungsmechanismen nicht stattgefunden, wäre das Ergebnis wohl noch schlechter herausgekommen.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.