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Europawahlen Italiens Liebe zu Europa erkaltet

Italiener und Italienerinnen gehören zu den eifrigsten Verfechtern des europäischen Einigungsgedankens. Doch die Zuneigung hat nachgelassen. Umfragen sagen: Bei der Europawahl könnte der Komiker Beppe Grillo mit seiner Protestbewegung «5 Stelle» auf über 20 Prozent kommen.

EU-Befürworter sind einfach zu finden in Italien. Trotz anhaltender Krise, trotz der verschärften Überwachung aus Brüssel wegen der riesigen Staatsverschuldung.

Eine Haltung, die weit zurückreicht, wie der Historiker Paul Ginsborg sagt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe die Annäherung vormals verfeindeter Länder wie Deutschland und Frankreich zu Frieden und wirtschaftlichem Aufschwung geführt: «Die Generation des Zweiten Weltkrieges weiss das. Sie ist deshalb noch immer pro-europäisch.»

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Europawahl: Italien - Vom Gründungsmitglied zur Gegnerin
aus Echo der Zeit vom 06.05.2014. Bild: Reuters
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Ausserdem seien viele Italiener mit dem Funktionieren ihres Staates unzufrieden. «Sie finden, dass dank des Drucks aus Brüssel einige Dinge besser laufen. Italien in Europa, so ihr Argument, funktioniert besser.»

Doch die Begeisterung für die EU und den Euro hat nachgelassen. Das Spardiktat aus Brüssel hat viele Italienerinnen und Italiener verunsichert. Auch die Wirtschaft kommt deswegen nicht in Schwung.

Das trifft vor allem die Jüngeren. Und lässt ihre Begeisterung für den Euro und die EU sinken. Protestbewegungen wie «5 Stelle» von Beppe Grillo oder die Lega Nord greifen diese Unzufriedenheit auf.

Ihr Zulauf, vor allem jener zu Grillos Bewegung, ist enorm. Umfragen sagen ihr bei der Europawahl ein Ergebnis von mehr als 20 Prozent voraus.

«Alle 4 Jahre ein Parlament wählen, reicht nicht»

Das Erstarken von Anti-EU-Parteien, das ist kein rein italienisches Phänomen. In Frankreich feiert der Front National mit ausländerfeindlichen und europakritischen Parolen grosse Erfolge. In Grossbritannien ist es die «UK Independence Party», welche die etablierten Parteien das Fürchten lehrt.

Was all diesen Parteien gemein ist, sind charismatische Führungspersönlichkeiten: Marine Le Pen in Frankreich, Nigel Farage in Grossbritannien und in Italien eben Beppe Grillo. «Sie ziehen vor allem jene Generation an, die den Schrecken des 2. Weltkriegs nicht mehr kennt und deshalb keine Abneigung gegen starke Politikerfiguren verspürt», analysiert Historiker Ginsborg.

Die Leute haben realisiert, dass der Staat und die repräsentative Demokratie sie vor den Auswirkungen einer tiefen Wirtschaftskrise nicht schützen können
Autor: Paul Ginsborg Historiker

Doch nicht nur das. Gleichzeitig verliere die repräsentative Demokratie an Anziehungskraft, beobachtet Ginsborg. Die Leute seien mündiger geworden. «Es reicht ihnen nicht mehr, alle vier Jahre ein Parlament zu wählen, sonst aber nichts zu sagen zu haben.»

Die Wirtschaftskrise akzentuiere das Problem. Die Leute hätten realisiert, dass der Staat und die repräsentative Demokratie sie davor nicht schützen können: «Ein Teil der Leute vertraut nun den simplen Rezepten eines Beppe Grillo. Aber auch jene, welche solche Parteien nicht wählen, haben festgestellt, dass die repräsentative Demokratie keine zufriedenstellenden Antworten auf die neuen Herausforderungen gibt.»

Eine Entwicklung, die Ginsborg Sorgen macht. In gewissem Mass erinnere die heutige Situation – das Aufkommen dieser Führerfiguren und der Vertrauensverlust in die Demokratie – an die 30er-Jahre.

Den Bürger mehr einbeziehen

Europawahl 2014

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Die Fraktionen im Europäischen Parlament

Es stellt sich die Frage: Wie kann man Populisten wie Grillo stoppen? Für Ginsborg gibt es nur einen Weg. Nämlich den, die repräsentative Demokratie radikal in Frage zu stellen. Und das heisst für ihn: Die Bürger mehr in die Entscheidungen einzubeziehen – «damit sie so wieder begreifen, was es heisst, in einer Demokratie zu leben, wo sie mitentscheiden, wohin die Reise geht.»

Kann die Schweiz da mit ihrem Initiativ- und Referendumsrecht Vorbild sein? Ja, glaubt Ginsborg. Allerdings sei auch die Schweiz nicht frei von populistischen Politikern, die zu wissen glaubten, was das Volk wolle. Die Antwort müsse auch hier lauten: Noch mehr Rechte und noch mehr Mitsprache für die Bürgerinnen und Bürger.

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