Vier-Sterne-General Jack Keane nimmt im Interview mit «10vor10» kein Blatt vor den Mund: «Dass die US-Regierung die politische und militärische Unterstützung der irakischen Regierung Ende 2011 gestoppt hat, war ein gewaltiger Strategiefehler!»
Michael Pregent, ehemaliger Sicherheitsberater der Regierungen Bush und Obama, sagt: «Wir haben versagt, weil wir unsere Versprechen nicht gehalten haben. Der IS hat das ausgenutzt».
US-Angriffskrieg führte zur Vorläuferorganisation des IS
Die USA haben mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Irak 2003 und mit dem Sturz des Diktators Saddam Hussein die labile Koexistenz der Sunniten, Schiiten und Kurden zum Kippen gebracht, stellen Kritiker fest. Die Terrorherrschaft von Saddam Hussein sei zwar grausam gewesen, habe aber den Streit der Religionsgruppen unterdrückt. Nach dem Sturz Saddams bricht ein Bürgerkrieg aus.
Die «Al Kaida des Irak», eine Vorläuferorganisation der Terrormiliz IS, verübte dabei Bombenanschläge, versetzte die Bevölkerung in Schrecken und machte den USA die Kontrolle des Landes streitig.
Das falsche Versprechen der USA an die Sunniten-Miliz
Die USA verstärkten ihre Truppen massiv. US-Präsident George W. Bush suchte die Zusammenarbeit mit den Sunniten und unter dem Namen «Söhne des Irak» formierte sich eine 90'000 Mann starke Miliz, die auf Seiten der Amerikaner kämpfte und vom US-Militär bezahlt wurde. Keane: «Wir versprachen den Kämpfern, dass der irakische Präsident Maliki sie später in seiner Armee beschäftigen wird.»
2008 gilt die «Al Kaida des Irak» als besiegt. Entgegen seiner Zusage an die Amerikaner stellte der schiitische Präsident Maliki aber keinen einzigen der sunnitischen Kämpfer ein.
Amerikanischer Regierungswechsel führt zu neuer Strategie
Mit der Wahl von Barack Obama wechselte die Strategie. Obama versprach im Wahlkampf, alle US-Truppen abzuziehen. Er nannte den Irakkrieg einen «dummen Krieg». Das Pentagon forderte, dass 20’000 US-Militärberater nach 2011 im Irak bleiben sollen. Obama lehnte ab. Höchstens 5'000 sollten es sein. Gemäss dem ehemaligen General Keane ist Obama nicht unglücklich, als die Verhandlungen mit Präsident Maliki platzten, weil dieser den US-Truppen keine Immunität vor Strafverfolgung zusichern wollte. «Die Obama-Regierung verstand nicht, dass die irakische Regierung unter Maliki unreif war.» Der Entscheid, alle US-Truppen und politischen Berater abzuziehen, habe das Feld frei gemacht für eine Terrororganisation wie den Islamischen Staat.
US-Alliierte werden hingerichtet, doch Obama reagiert nicht
Dok vom 3.9.14
Kaum waren die Amerikaner weg, ging Maliki immer repressiver gegen die Sunniten vor: Er liess sunnitische Offiziere und Politiker verfolgen und verhaften. Ebenso die sunnitischen «Söhne des Irak». Mehrere tausend US-Verbündete seien verhaftet worden, sagt Saad Ghaffoori, der frühere Truppenführer in Bagdad. Ghaffoori zu 10vor10: «Maliki hat ungefähr 50 Söhne des Irak hinrichten lassen».
Sicherheitsberater hätten den Präsidenten täglich über die Säuberungsaktionen im Irak informiert. Im Weissen Haus aber hätte sich niemand dafür interessiert, sagt ex-Berater Michael Pregent. «Aus Obamas Umkreis hiess es: ‚Wenn es sich um den Irak handelt, wollen wir nichts davon hören. Wir haben genug vom Irak‘.»
Die besiegte Terrormiliz kehrt zurück
Anfang 2014 kehrte die «Al Kaida des Irak» zurück: Neu erstarkt im Bürgerkrieg von Syrien und jetzt unter dem Namen ISIS nahm sie die sunnitischen Hochburgen Falludscha und Ramadi ein. Es sind dieselben Städte, aus denen die «Söhne des Irak» die Terrororganisation sechs Jahre zuvor vertrieben hatte. Viele Sunniten kämpfen heute auf der Seite der Terroristen. Saad Ghaffoori: «Der Islamische Staat ist schlimm, aber am schlimmsten ist Präsident Maliki».
Misstrauen gegenüber den USA
Präsident Obama sucht nun am NATO-Gipfel in Wales nach Verbündeten, um koordinierte Luftschläge gegen den IS in Irak und Syrien durchzuführen. Mit Luftschlägen allein werde die Terrormiliz nicht besiegt, gibt der ehemalige General Jack Keane zu bedenken. Das grosse Problem sei, dass die USA nicht wisse, wie stark die Bodentruppen der Kurden, Schiiten und Sunniten sind. Mit vielen ehemaligen «Söhnen des Irak» jedenfalls haben sich die USA die Zusammenarbeit verspielt. «Wer kann uns garantieren, dass sie uns nicht wieder im Stich lassen?» fragt der ehemalige Führer Saad Ghaffoori.