SRF News: Julia Morais, Wann ist aus Ihrer Sicht ein Mensch, der als Flüchtling zu uns kam, gut integriert?
Julia Morais: Es ist so wie in einer Wohngemeinschaft oder Nachbarschaft, wenn jemand Neues kommt: Wer sich vorstellt, also freundlich ist, kommuniziert, also die Sprache kann, Rechte und Pflichten kennt, also informiert ist, und die Regeln einhält, also die Miete oder Steuern zahlt. Und das Pünktchen auf dem i ist, wenn die neue Person sich für die Gemeinschaft engagiert, also Nachbarschaftshilfe leistet, im Verein mitmacht oder ein Fest organisiert.
Damit ist nämlich auch die Staatsstruktur der Schweiz verinnerlicht: Sie ist von unten nach oben aufgebaut, das Engagement im kleinen Raum und Alltag ist die Basis. Die Fachwelt nennt das die bestmögliche Herstellung von Chancengleichheit und Partizipation sowie wirtschaftliche Integration und Regelkonformität.
In welchen Lebensbereichen zeigen sich die grössten Konflikte im Zusammenleben mit den Menschen des Gastlandes?
Konflikte ergeben sich aus falschen Vorstellungen und Erwartungen, wenn beispielsweise Flüchtlinge wegen Fehlinformationen mit einer Anspruchshaltung zu uns kommen und hier natürlich auf Unverständnis stossen. Umgekehrt ist es weltfremd von Kriegsflüchtlingen zu erwarten, dass sie schon bei der Einreise unsere Kultur und unser Land verstehen und sich verhalten wie Einheimische.
Daher ist es wichtig, dass alle Fachleute, die direkt mit Flüchtlingen arbeiten, gut geschult sind und mit den interkulturellen Herausforderungen umgehen können. Um Konflikte zu minimieren, müssen alle Flüchtlinge rasch informiert, in der Sprache geschult und über Beschäftigung aktiv eingebunden werden. Unsere Regeln und Normen lernen sie am besten bei der Arbeit und im Austausch mit Einheimischen.
Was macht Freude mit der Integration?
Freude macht die Entfaltung der Menschen, wenn sie sich hier über die Sprache, Arbeit und im Sozialen engagieren und damit ihre Welt in unsere integrieren. Integration bereichert beide Seiten, das ist tatsächlich Realität und kein frommer Wunsch.
Die Schicksale geben uns Einblick in andere Welten, in ihre Kultur, zum Beispiel in die ausgeprägte Gastfreundschaft von Orientalen und Südländern, sie kann uns bereichern, und umgekehrt bietet unser hoher Organisationsgrad und die vielfältige Schweiz gute Chancen für diejenigen, die Sicherheit und Stabilität zu schätzen wissen.
Was können wir Schweizerinnen und Schweizer konkret tun, damit sich ein Flüchtling gut integrieren kann?
Menschlich und klug sein – dass heisst sich offen und klar begegnen, nicht naiv-, sondern ernst nehmend, also nicht nur fördernd und gebend, sondern auch fordernd. Das Beste ist Kontakt aufnehmen, informieren, Hilfsbereitschaft zeigen, einladen und erklären – und dabei auch mal was verlangen, zum Beispiel einen Kursbesuch oder eine nachbarschaftliche Hilfestellung im Garten. Wichtig ist die aktive Komponente: Integration ist ein Prozess, das Gegenteil von Stagnation und Isolation. Gute Prozesse führen zu schönen Nachbar- und Freundschaften.
Soll man auch Menschen integrieren, die unser Land vielleicht wieder verlassen?
Integration ist in jedem Fall sinnvoll, auch bei Menschen, die wieder gehen müssen. Sprachkenntnisse und Arbeit halten sie fit und mobil, sie können so neue Erfahrungen und berufliche Qualifikationen mitnehmen. Schlimm sind in jedem Fall Isolation und Passivität, ob die Menschen nun hier bleiben oder wieder gehen.