Nach der Flüchtlingstragödie in Österreich mit 71 Todesopfern hat die ungarische Polizei einen fünften Verdächtigen gefasst. Der Mann sei am Samstagabend festgenommen worden, teilte die Polizei am Sonntag mit. Gegen den Mann, einen Bulgaren, werde wegen Menschenschmuggels ermittelt.
Am Freitag waren in Ungarn bereits vier mutmassliche Schlepper festgenommen worden, drei Bulgaren und ein Afghane. Am Samstag ordnete ein Gericht an, sie bis Ende September in Untersuchungshaft zu setzen. Die vier Männer, darunter der Besitzer des Lastwagens und die zwei Fahrer, sind nach Einschätzung der Polizei Handlanger eines bulgarisch-ungarischen Schlepperrings.
Obduktion der Leichen
Der Kühllastwagen mit ungarischem Kennzeichen und dem Logo eines slowakischen Geflügelhändlers war am Donnerstag auf der Autobahn 4 im Burgenland entdeckt worden. In dem Fahrzeug wurden 59 tote Männer, 8 Frauen und 4 Kinder gefunden. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien handelt.
Bei der Identifizierung der Opfer konzentrieren sich die Ermittler auf die Handys der Toten. Zudem werde das Fahrzeug «Millimeter für Millimeter» durchsucht, zitierte der ORF einen Polizeisprecher. Bislang sei lediglich ein syrischer Pass aufgetaucht. Die österreichische Polizei sei jedoch auch auf Hinweise von Angehörigen angewiesen, hiess es. Sie richtete eine rund um die Uhr auch mit Dolmetschern besetzte Hotline ein.
Die Toten werden derzeit von der Gerichtsmedizin Wien untersucht. Dies dürfte bis mindestens Mitte der Woche dauern. Was danach mit den Toten geschehe, sei noch nicht klar.
Frankreich kritisiert Zaun
Bereits am Freitag hatte die Polizei in Österreich erneut einen Laster mit 26 Flüchtlingen aufgegriffen. Aus dem stickigen Laderaum wurden drei entkräftete Kleinkinder gerettet, die kurz vor dem Verdursten waren. «Es war schon ziemlich knapp», sagte ein Polizeisprecher. Die Kinder hätten das Krankenhaus in Braunau mittlerweile mit ihren Eltern wieder verlassen, hiess es. Die Familie wolle weiter nach Deutschland, sie stellte keinen Asylantrag in Österreich.
Ungarn respektiert die gemeinsamen europäischen Werte nicht.
Ungarn schottet sich derweil weiter ab: Der umstrittene Zaun an der 175 Kilometer langen Grenze zu Serbien sei fertig, meldete die staatliche Nachrichtenagentur MTI am Samstagabend unter Berufung auf das Verteidigungsministerium. Die rechts-konservative Regierung hofft, dass nun weniger Flüchtlinge als derzeit entlang der «Balkanroute» durch Südosteuropa und Ungarn ziehen. Die Massnahme stiess auf Kritik Frankreichs. «Ungarn respektiert die gemeinsamen europäischen Werte nicht», sagte Aussenminister Laurent Fabius dem Sender Europe 1.
Zudem nannte er es «skandalös», dass einige Länder «vor allem im Osten Europas» die Verteilung von Asylbewerbern nicht akzeptieren wollten. Deutschland zeige hier beherztes Verhalten, Frankreich stehe an seiner Seite. «Aber Europa muss insgesamt seine Verantwortung übernehmen», sagte Fabius.
Schlepperkriminalität in Ungarn
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Bild 1 von 10. Überall auf den Nebenstrassen in der Nähe des ungarischen Grenzzauns: Schlepperinnen und Schlepper, die Flüchtlinge einsammeln. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 2 von 10. Die Schlepperinnen sind wachsam: Die Beifahrerin entdeckt, dass wir sie mit dem Smartphone filmen. Sie finden uns im nächsten Dorf wieder, sind aggressiv und drohen uns – ironischerweise – mit der Polizei. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 3 von 10. Eine Gruppe Afghanen, seit vier Wochen unterwegs. Geld für Schlepper haben sie keines. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 4 von 10. Ein Flüchtling sucht einen Schlepper, der ihn und seine Gruppe in die nahe Stadt Szeged mitnimmt. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 5 von 10. Hier schicken die Schlepper die Flüchtlinge über den Stacheldrahtzaun. Auch Familien mit kleinen Kindern. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 6 von 10. An der Tankstelle bei der Autobahn sitzen und stehen den ganzen Tag verdächtige Männer. Das Erkennungsmerkmal: Ein schwarzes Bauch- oder Umhängetäschchen. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 7 von 10. Junge Männer, an einer kleinen Tankstelle, wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Sie sind sie, an einem Freitagmorgen, zufällig da am Freitagmorgen oder nur aus Langeweile? Wohl kaum. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 8 von 10. Menschen ruhen sich aus. Auf dem Autositz oder auf Bänken vor dem WC-Gebäude der Autobahnraststätte. Sie wirken, als würden sie regelmässig hier sitzen. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 9 von 10. Nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge sind den Schleppern ausgeliefert: Familie el Hadji aus dem syrischen Aleppo wurde von Schleppern auf einen 11-stündigen Fussmarsch durch den Wald geschickt. In der Nacht, über den Stacheldrahtzaun – obwohl es wenige Kilometer entfernt, durch eine breite Schneise im Zaun, einen praktisch offiziellen Weg gibt. Bildquelle: Julien Cassez.
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Bild 10 von 10. Die syrische Familie el Hadji mit der 2-jährigen Rosa will nach dem ungarischen Auffanglager weiter nach Deutschland. Legal ist das nicht möglich, sie ist weiterhin auf Schlepper angewiesen. Bildquelle: Julien Cassez.