Beim EU-Gipfel sind die Verhandlungen über ein Abkommen mit der Türkei am Abend in die entscheidende Phase gegangen. Die Staats- und Regierungschef der 28 EU-Staaten beraten zur Stunde in Brüssel, am Freitag ist dann ein Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu geplant.
«Vorsichtig optimistisch, mit der Betonung auf vorsichtig»
Der Druck auf den Gipfel ist gross, eine gemeinsame Lösung zu finden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte vor Beginn des Treffens, sie sei «vorsichtig optimistisch, mit der Betonung auf vorsichtig». Auch andere Teilnehmer äusserten sich ähnlich.
Allerdings stehen einer Einigung noch einige Hürden im Weg. Neben rechtlichen Bedenken droht auch noch ein Veto aus Zypern. «Solange die Türkei ihre Verpflichtungen nicht umsetzt, haben wir keine andere Wahl», sagte Zyperns Präsident Nikos Anastasiades in einem Interview mit «Euronews». Konkret forderte er, die Türkei müsse ihre Häfen und Airports öffnen und die Beziehungen zu Zypern normalisieren.
Seit der Besetzung Nordzyperns durch die Türkei 1974 ist das Verhältnis zwischen beiden Ländern gespannt, die Türkei erkennt die Republik Zypern nicht als unabhängigen Staat an. Allerdings hatte Zypern früher bereits der Eröffnung einzelner Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei nach anfänglichem Widerstand zugestimmt.
Umstrittenes Abkommen mit der Türkei
Kern des geplanten Abkommens mit der Türkei soll sein, dass die Türkei Migranten und Flüchtlinge zurücknimmt, die irregulär aus der Türkei nach Griechenland kommen – ausser denen, die dort Asyl beantragen. Im Gegenzug soll die EU etwa die Visaliberalisierung für die Türkei beschleunigen und neue Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei öffnen. Beide Aspekte müssen von den EU-Staaten und dem EU-Parlament abgesegnet werden.
Für jeden zurückgenommenen Syrer durch die türkischen Behörden will die EU zudem einen anderen Syrer aus der Türkei aufnehmen. Dafür sollen zunächst 18'000 Plätze zur Verfügung stehen, die später mit weiteren 54'000 Plätzen ergänzt werden können. Ausserdem stellt die EU der Türkei drei Milliarden Euro an Hilfe zur Unterbringung von Flüchtlingen in Aussicht, sobald die ersten, bereits beschlossenen drei Milliarden aufgebraucht sind.
«Vereinbarungen am Rande des Rechts»
Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite sprach von Vereinbarungen «am Rande des internationalen Rechts». Menschenrechtsorganisationen sorgen sich, dass es in Griechenland zu Massenabschiebungen von Flüchtlingen Richtung Türkei ohne Einzelfallprüfungen kommen könnte.
Die deutsche Kanzlerin Merkel sagte, es müsse in dem Abkommen sichergestellt werden, dass die individuellen Rechte von Flüchtlingen gewahrt blieben. Es seien deshalb noch intensive Beratungen nötig, um einen Interessenausgleich zwischen der Türkei und der EU zu finden. Auch andere EU-Regierungschefs betonten, dass die geplante Rückführung von Flüchtlingen sowohl mit EU-Recht als auch mit den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar sein müsse.
«Eine Schande»
Daneben forderte Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras angesichts der Lage im Flüchtlingslager beim Grenzort Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze erneut EU-Hilfe. Die Situation sei durch einseitige Massnahmen entstanden, sagte Tsipras mit Blick auf verschärfte Einreisebestimmungen entlang der Balkanroute. «Ich denke, das ist eine Schande für eine gemeinsame Kultur, und wir müssen Entscheidungen treffen, um die Lage zu deeskalieren.»
Merkel, Tsipras und Frankreichs Präsident Francois Hollande hatten sich zuvor getroffen: Die gemeinsame Forderung war danach, dass die EU sich neben einem Angebot an die Türkei auch auf umfassende Hilfen für Griechenland in der Flüchtlingskrise einigen müsse. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann machte dagegen deutlich, dass die Balkanroute «auf jeden Fall» geschlossen bleiben müsse.